ZWISCHEN TRADITION UND TECHNOLOGIE

ZWISCHEN TRADITION UND TECHNOLOGIE

Wie exklusive Uhrenmanufakturen den Spagat meistern

VON ANJA FAHS & SANDY STRASSER

(Veröffentlicht in Das Produktkulturmagazin Ausgabe 3 2014)

Handgefertigte Uhren stehen seit jeher für Eleganz, Tradition und besondere Werte. Jedes einzelne Produkt versinnbildlicht dabei die über Jahrhunderte erlernte und weitergegebene Kunst von Meisterhandwerkern, die mit viel Hingabe und Liebe zum Detail exquisite Produkte von Wert schaffen. Es ist eine Art besonderer Aura, die solch edle Zeitmesser umgibt – sie mit ihrem Träger eins werden lässt. Doch in unserer heutigen Gesellschaft, in der immer mehr Wert auf zusätzliche Funktionen, raffinierte Features oder technische Innovationen gelegt wird, drängen vermehrt auch reine Technologieunternehmen mit neuen Produkten in den angestammten Markt der traditionellen Luxus-Produkte. Treten dadurch Individualität und Einzigartigkeit der Produkte in den Hintergrund? Entspricht das tatsächlich der Realität oder hat man als Beobachter von außen nur das Gefühl? Wir haben dazu mit exklusiven Uhrenherstellern gesprochen.

Vermischt sich das traditionelle Uhrenhandwerk immer mehr mit moderner Technologie? Verlangt der Kunde nach neuen raffinierten Technik-Features auch bei traditionellen Luxusuhren?

Marc Deckenbrock, Public Relations, Pressekommunikation und Sponsoring Manager TAG Heuer: Prinzipiell würde ich sagen, hat die automatische Uhr als entweder normale Dreizeigeruhr oder als Chronograph eine absolute Renaissance erlebt und tut dieses auch noch immer. Uhren sind heutzutage keine reinen Zeitanzeigeinstrumente mehr. Sie sind vielmehr Kommunikatoren mit der Umwelt, vermitteln Designorientierungen des Trägers, sportliche Affinitäten, sind zweifelsohne und immer noch Statussymbole, doch prinzipiell ist es erst einmal chic, eine Uhr zu tragen. Uhren sind für Mann und Frau Begleiter durch den Tag hindurch, morgens im Büro, nachmittags beim Sport und abends zum Beispiel in der Oper. Betrachtet man das aus Männersicht, so ist es heruntergebrochen das einzige legitime Schmuckstück für ihn. Da der Mann eher zum Sammler wird als die Frau, wird er auch mehr Uhren in der Sammlung haben. Da können dann Uhren mit den unterschiedlichsten Technologien – mechanisch, automatisch oder quarzgesteuert – und Ausführungen für die unterschiedlichsten Verwendungszwecke vertreten sein. Zum Beispiel von der dezenten und flachen Business-Uhr mit drei Zeigern bis hin zu eine robusteren und größeren Sportuhr mit Chronographenfunktion. 

Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Das traditionelle Uhrenhandwerk muss sich stets den modernen und neuen Technologien und Herausforderungen widmen und darf sich ihnen nicht verschließen. Das sollte eigentlich immer so sein, doch man darf nicht vergessen, dass die Uhrmacherei ein jahrhundertealtes Handwerk ist. Und da kann es schon einmal sein, dass es etwas länger braucht, bis man sich an neue technologische Errungenschaften anpasst. Tut man dieses dann als Marke, so sollte es natürlich immer angepasst sein an die eigenen Werte und die eigene Geschichte. Es muss passen. Denn nur was zur Markenhistorie passt, ist auch authentisch und wird vom Konsumenten angenommen. 

Alexander Schmiedt, Managing Director Watches Montblanc International: Natürlich halten auch in der traditionellen Uhrmacherei neue Technologien Einzug, zum Beispiel neue Materialien auf Werks-, Zifferblatt- oder Gehäuselementen. Aber die traditionelle uhrmacherische Handwerkskunst hat sich seit mehr als 2 Jahrhunderten bis heute erhalten – trotz oder vielleicht gerade wegen des technologischen Wandels. Und wir lassen diese auch ganz bewusst in unseren Uhren fortleben. Ich glaube, das genau ist es, was eine schöne Uhr für ihren Besitzer besonders macht und sie von einem „technischen Gebrauchsgegenstand“ unterscheidet.

Simone Richter, Leitung Marketing SINN Uhren: SINN Spezialuhren bietet technisch orientierte, mechanische Uhren an. Wir definieren die Uhr als Instrument für einen bestimmten Einsatzzweck. Das heißt: Technische Ausstattung und neue Technologien kommen hier immer wieder zur Anwendung. Allerdings konzentrieren wir uns auf mechanische Uhren, da diese für bestimmte extreme Anwendungen eine besondere Eignung mitbringen. So wäre zum Beispiel eine Uhr mit einem Display oder eine batteriebetriebenen Uhr bei den Extremtemperaturen, denen unsere Uhren mit Temperaturresistenztechnologie standhalten, nicht mehr funktionsfähig.

Jürgen Bestian, General Manager Jaeger-LeCoultre: Seit mehr als 180 Jahren vereint Jaeger-LeCoultre traditionelle Uhrmacherkunst mit technischem Fortschritt. Der Erfindergeist von Gründer Antoine LeCoultre verbunden mit seinem Streben nach Perfektion ist heute präsenter denn je und das stetig schlagende Herz unseres Hauses. Uhren wie die Reverso, die Atmos oder Memovox, die zu Beginn und Mitte des letzten Jahrhunderts entwickelt wurden, setzten zu ihrer Zeit technische Maßstäbe hinsichtlich Modernität und sind die Wegbereiter für heutige Innovationen. Aufbauend auf diesem reichen Erbe entstand 2004 die Idee, den höchstkomplizierten Uhren der Manufaktur einen eigenen Kollektionsnamen zu verleihen: So hat es sich Hybris Mechanica zur Aufgabe gemacht, die Grenzen des Möglichen zu sprengen. Die insgesamt elf Uhren der Linie sind Synonym für eine beispiellose Demonstration uhrmacherischen Fortschritts und spiegeln die Ausnahmestellung der Manufaktur Jaeger-LeCoultre und gleichzeitig die hohe Erwartungshaltung unserer Kunden wider.

Kann Ihrer Meinung nach die Verbindung von traditioneller Uhrmacherkunst mit modernster Technologie ein Produkt mit mehr Potential für den Kunden ergeben? Wie sieht die Zukunft der Luxusuhren im Hinblick auf Technik bzw. technische Innovationen aus?

Alexander Schmiedt: Die Geschichte der Uhrmacherei war immer ein Wechselspiel von Tradition und Innovation. Was wir heute als eine traditionelle uhrmacherische Konstruktion sehen, war vor 100 Jahren höchst innovativ. Man kann sagen, dass es nur die besten Innovationen schaffen, einmal zur „Tradition“ zu werden. Und deswegen entwickeln wir unsere Uhren mit Innovationen ständig weiter, aber mit Innovationen, die im Einklang mit der Tradition stehen. Ein gutes Beispiel dafür ist der neue TimeWalker Chronograph 100: ein Chronograph, der mittels eines hochinnovativen patentierten Systems die Zeit mechanisch bis zu einer Genauigkeit von 1/100 Sekunden messen kann – mit einem Uhrwerk, das komplett im Geiste der traditionellen Uhrmacherei konzipiert und mit der Hand in unserer Manufaktur finissiert wird.

Ulrike Kranz, Head of Public Relations Glashütte Original: Es kommt ganz darauf an, was genau mit moderner Technologie gemeint ist. Wenn es um die Oberflächenbearbeitung, die Verwendung ungewohnter Materialien (wie zum Beispiel Keramik) oder Prozesse der Qualitätssicherung und Prüfung geht, ist die Anwendung moderner Technik Teil unserer Philosophie. Allerdings legen unsere Kunden das Hauptaugenmerk auf traditionelle Herstellungsverfahren und traditionelle Veredelungstechniken, die eine hochwertige handgefertigte Uhr ausmachen. Hier beeindruckt Glashütte Original vor allem damit, dass wir schon fast in Vergessenheit geratene Prozesse und Verfahren noch beherrschen, wie zum Beispiel die sogenannte „Anreibeversilberung“ von Zifferblättern, und sie bei neuen Modellen wieder einführen und aufleben lassen. So haben wir erst dieses Jahr in Basel einen neuen Chronographen präsentiert, der ein innovatives Uhrwerk hat, gleichzeitig aber ein Zifferblatt, das auf traditionelle Weise hergestellt und veredelt wurde. Diese Kombination aus innovativer Uhrmacherkunst und traditionellem Handwerk ist es, was unsere Kunden letztendlich begeistert.

Jürgen Bestian: Uhren-Sammler und Connaisseure lassen sich gerne von den kleinen Wundern der Haute Horlogerie faszinieren. Von großer Bedeutung ist hierbei besonders die Verbindung zur traditionellen Uhrmacherkunst sowie zu beständigen Werten; denn eine Uhr gilt oftmals auch als Wertanlageobjekt. Hier entscheidet nicht nur die Technik, welches Potential eine Uhr besitzt; vielmals sind hier technisch reduzierte Klassiker mit Geschichte interessant. Innovative technische Errungenschaften können jedoch auch neue oder andere Käuferinnen und Käufer anziehen und für Begeisterung sorgen. Mit der Amvox2, einer Uhr die aus der Partnerschaft zwischen Jaeger-LeCoultre und Aston Martin hervorgeht, haben wir einen klassischen Chronographen mit einer Transponder-Funktion zum Öffnen und Schließen des Automobils entwickelt, der zudem auf die üblichen Drücker an der rechten Gehäuseflanke verzichtet und ausschließlich über das Glas zu bedienen ist. Derartige Weiterentwicklungen klassischer Funktionen werden in der Zukunft sicherlich weiter an Bedeutung gewinnen. 

Gibt es Ihrer Meinung nach einen spürbaren Wandel in der Art und Weise, wie ein Kunde heute ein technisches Produkt – beispielsweise eine Luxus-Uhr – sieht und was er davon erwartet?

Marc Deckenbrock: Ja, auf jeden Fall ist das zu spüren. Neben den ganzen technischen Features, die eine Uhr für ihre unterschiedlichen Verwendungszwecke haben sollte, ist das Image einer Uhrenmarke und damit ihrer Produkte sehr wichtig für den Konsumenten. Der Konsument möchte ja, wie oben schon erwähnt, durch seine am Handgelenk getragene Uhr mit seiner Umwelt in Kommunikation treten und auch Dinge damit vermitteln. Zwar hat sich momentan der Bling-Bling-Faktor einer Uhr stark zum Understatement-Charakter hin verändert, aber nichtsdestotrotz muss eine Marke Werte ausstrahlen und kommunizieren – und mit diesen muss sich ein Konsument identifizieren wollen und auch können. Technologisch gesehen muss eine Uhr heutzutage die Basiseigenschaften wie zum Beispiel kratzfestes Saphirglas und eine Wasserdichtigkeit bis Minimum 100 Meter, aber lieber noch mehr, erfüllen, egal ob sie 1.000 Euro oder 100.000 Euro kostet. Welche technischen Features eine Uhr darüber hinaus hat, macht die Marke und damit ihre Wertigkeit in den Köpfen der Konsumenten aus und schafft letztendlich eine Begehrlichkeit. Diese Begehrlichkeit ist ganz wichtig für ein emotional aufgeladenes Produkt wie eine Uhr.

Ulrike Kranz: Es muss eine ausgewogene Mischung aus technischer Perfektion, sinnvollen Zusatzfunktionen, Alltagstauglichkeit und elegantem Äußeren sein. Was unsere Kunden immer wieder fasziniert und begeistert, ist die technische Spitzenleistung, die im Produkt steckt, wie z.B. die Uhr „Grande Cosmopolite Tourbillon“, die alle 37 Zeitzonen der Erde anzeigt, einen ewigen Kalender sowie ein Fliegendes Tourbillon besitzt und außerdem wunderschön von Hand gearbeitet ist. In dieser Hinsicht haben wir keinen wirklichen Wandel erlebt, eher eine Bestätigung unserer Philosophie, die auf beste Handwerkskunst und innovative Produkte setzt.

Wilhelm Schmid, CEO A. Lange & Söhne: Hochwertige mechanische Zeitmesser haben als Accessoires einen sehr viel höheren Stellenwert erhalten. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Uhr in sozialen Netzwerken, Blogs und Foren hat stark zugenommen. Nie zuvor gab es eine so große Markttransparenz und so viele Vergleichsmöglichkeiten. Damit sind auch die Erwartungen an Qualität, Präzision, Ästhetik, Handarbeit und Werthaltigkeit gestiegen. 

Können Produkte technologisch auf eine höhere Ebene gebracht werden ohne die wunderbare Simplizität hinsichtlich Form und Gestaltung zu verlieren? Oder leidet zwangsläufig die Schönheit des Produktes?

Alexander Schmiedt: Das genau ist die Herausforderung und war sie in der Uhrmacherei schon seit jeher. Die technische Innovation zur Schau zu stellen darf nicht zum Selbstzweck werden, sondern muss Funktionalität, Design und Einzigartigkeit aber auch „uhrmacherische Substanz” in perfekten Einklang bringen. Denn genau das unterscheidet ja die Produkte, die irgendwann einmal zu einem „Klassiker“ werden, von denen, die man schnell vergisst.

Wilhelm Schmid: Genau da liegt die Herausforderung an das Zusammenspiel von Konstruktion und Design. Manufakturen wie unsere, die ausschließlich auf eigene Werke zurückgreifen, sind da klar im Vorteil. Denn sie können beide Disziplinen von Anfang an aufeinander abstimmen. Das führt dann zu anspruchsvollen Lösungen wie bei unserem Modell LANGE 1 TOURBILLON EWIGER KALENDER, bei der die Integration des Kalendariums in das Zifferblatt so harmonisch gelöst ist, dass man die technische Komplexität erst auf den zweiten Blick erkennt.

Simone Richter: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass eine Uhr besonders ansprechend ist, wenn sich die Gestaltung streng an den Anforderungen beziehungsweise der Nutzung orientiert.

In welchen anderen Branchen und Produkten des Luxusmarktes könnte sich künftig die Verschmelzung von traditionellem Handwerk und neuester Technik verstärkt bemerkbar machen?  

Alexander Schmiedt: Innovationen gibt es in jedem Bereich des Luxusmarktes. Ich denke, jeder Hersteller muss für sich selbst den richtigen Weg finden, wie er die Balance zwischen Tradition und Innovation herstellen kann. Montblanc geht seinen Weg konsequent seit 108 Jahren, indem wir die traditionelle Handwerkskunst bewahren, um mit laufender Innovation die Tradition der Zukunft sicherzustellen. 

Wilhelm Schmid: Beispiele dafür gibt es in vielen Bereichen. Bei Schreibgeräten und Fahrrädern etwa gibt es die Verbindung aus Handwerk und Technik schon lange. In traditionell industriell gefertigten Produkten wie Autos, Kameras oder Audiogeräten spielt die handwerkliche Komponente im Premiumbereich eine immer wichtigere Rolle.

Jürgen Bestian: Neben der Uhrenindustrie ist dies wohl am stärksten im Automobilbereich der Fall. Auch wenn umweltfreundliche Konzepte und Kleinwagen auf dem Vormarsch sind, wird es immer einen gewissen Kreis geben, der an hochwertig von Hand gefertigten Luxus-Automobilen mit Spitzentechnologie interessiert ist. 

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Picture credits © TAG Heuer


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