TUNNEL VISION

TUNNEL VISION

Salat-Revolution im Londoner Untergrund

VON ANJA FAHS

(Veröffentlicht in Das Produktkulturmagazin Ausgabe 3 2014)

Die Fußgängerampel zeigt grün und eine Gruppe von Menschen eilt hastig über die Straße. Wir sind im geschäftigen Süden von London, im Stadtteil Clapham, und viele Menschen aus den umliegenden Bürogebäuden sind auf dem Weg zum Lunch. Wenn sie alle Röntgenaugen hätten und durch den Asphalt unter ihren Füßen spähen könnten, würden sie zu ihrem großen Erstaunen sehen, dass dort in 33 Meter Tiefe ihr Mittagessen wächst!

In alten leerstehenden Schutztunneln aus dem Zweiten Weltkrieg haben die beiden Gründer von „Zero Carbon Food“ ihre Untergrund-Salat-Farm angelegt. Steven Dring und sein Partner Richard Ballard versichern, dass diese alten Bunker genau der richtige Platz sind, um feinsten Salat und schmackhafte Sprossen zu züchten. Dabei werden sie von niemand geringerem als dem mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichneten, international bekannten Spitzenkoch Michel Roux Jr. unterstützt. Er liefert den beiden Unternehmern sein umfangreiches Know-how im Bezug auf Lebensmittel und optimalen Geschmack und bestätigt, dass die Bedingungen in den Tunneln überraschend gut sind. Es herrscht hier unten das ganze Jahr über eine gleichbleibende Temperatur von 16 Grad. Somit ist es im Sommer nicht zu heiß und im Winter angenehm warm – das reduziert den Heiz- bzw. Kühlungsaufwand des Raumes enorm. 

Zugegeben, Tageslicht ist hier unten nicht zu finden. Zwar wirkt das pinkfarbene LED-Licht etwas gespenstisch, dafür aber die wunderschönen grünen Ruccola-Pflänzchen, die sich auf großen Tischen ausbreiten, durchaus real. Die Salatpflanzen werden auf Matten gezogen, die auf hüfthohen Tischen liegen. Sie sind entweder aus Hanf oder aus recycelten alten Teppichen aus Naturfasern hergestellt. Die speziellen LED-Lampen werden ausschließlich mit Strom aus Solar- und Windenergie gespeist. Dieses LED-Licht hat das gleiche Spektrum wie Sonnenlicht und lässt Pflanzen wunderbar gedeihen – dabei ist es dreimal effizienter als das herkömmliche Kunstlicht, das in der Landwirtschaft verwendet wird. Ein weiterer Vorteil der Tunnel ist die gefilterte, reine Luft, die frei von Umweltgiften und Abgasen ist. Weder das Wetter noch Schädlinge haben hier im Untergrund Einfluss auf die Pflanzen, sodass keine Pestizide benötigt werden. Das schont die Umwelt und schlussendlich auch unsere Gesundheit. So können fantastisch schmeckende Lebensmittel erzeugt werden, denn Nährstoffe, Wasser und Licht werden für den perfekten Wachstumsprozess und die optimale Entwicklung der Pflanze genau gesteuert. Neben der Energieeffizienz und der CO2-neutralen Zucht ist vor allem der Vorteil der Wassereinsparung enorm wichtig. Das Bewässerungssystem verbraucht 70 Prozent weniger Wasser als die konventionelle Anbaumethode auf den Feldern. Zero Carbon Food sammelt Regenwasser an der Oberfläche und benutzt Grundwasser, das aus den umliegenden Sumpfgebieten nach unten sickert. 

Bisher werden neun verschiedene Sprossen (sogenannte Micro-Greens) und drei Arten von Kräutern gezüchtet. Micro-Greens sind junge Pflänzchen, die noch als Setzlinge geerntet werden, geballte Nährstoffe liefern und gleichzeitig unglaublich zart und geschmackvoll sind. So beispielsweise Ruccola, Brunnenkresse, Erbsen- und Radieschen-Sprossen, Koriander, Thai-Basilikum und einige mehr. Momentan werde die Produkte unter dem Namen „Growing Underground“ kostenfrei an einige Restaurants in London und zu ausgewählten Händlern im New Covent Garden Market geliefert. Sie testen die Sprossen und Kräuter auf ihren Geschmack und darauf, wie sie sich im Restaurantalltag verarbeiten lassen. Grundsätzlich ist der sehr kleine Aktionsradius ein großer Vorteil für die Growing-Underground-Produkte. Sie können innerhalb von vier Stunden nach der Ernte bereits auf dem Teller liegen. Steven Dring und Richard Ballard planen eventuell eine breitere Distribution, jedoch nur innerhalb ihrer selbst gesetzten „Food Miles“-Zone. Das heißt, die Produkte sollen nicht weiter als bis zur Londoner M25-Autobahn, die ringförmig um die City führt, geliefert werden. 

Zero Carbon Food mit Growing Underground ist sicherlich eine der zukunftsorientierten Formen des „Urban Farmings“, welches inzwischen längst kein Trend mehr ist, sondern fester Bestandteil des urbanen Lebens in vielen Metropolen. Seien es die Rooftop Farms in Singapur, Amsterdam, Hongkong, Tokio, Montreal und in vielen Städten der USA, oder die Community-Nutzgärten beispielsweise in England, wo Landbesitzer den Stadtbewohnern brachliegende Flächen zum Anbau von Obst und Gemüse zur Verfügung stellen. Aber früher oder später werden nicht mehr genug Felder zur Verfügung stehen, auch die Wasserknappheit und begrenzten Energie-Ressourcen werden zum Umdenken zwingen. „Feeding the Future“ ist die Vision von Zero Carbon Food, und auch in Japan gibt es bereits Farmen, die nicht mehr unter freiem Himmel agieren. So auch die weltgrößte Indoor-Farm für Salate, die von Shigeharu Shimamura in einer ehemaligen Sony-Fabrikanlage eingerichtet wurde und mit Hilfe von 17.500 LED-Lichtern über 10.000 Salatköpfe am Tag erzeugt. Auch hier liegt der Wasserverbrauch nur bei einem Prozent im Vergleich zur konventionellen Feld-Bewässerung. 

David und Richard haben für die Zukunft ihres Unternehmens drei Wünsche: „Wir wollen nachhaltig agieren, CO2-neutral produzieren und für unsere Investoren finanziell rentabel sein.“ 

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zerocarbonfood.co.uk

growing-underground.com

Picture credits © zerocarbonfarms.co.uk


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