THE MYSTERY OF NETFLIX

THE MYSTERY OF NETFLIX

VON STEFANIE SCHMID
(Veröffentlicht in THE GAZETTE Ausgabe 02 im April 2023)

Die Anzahl an Streaming-Anbietern nimmt stetig zu, doch der US-amerikanische Konzern Netflix hält sich wacker als Marktführer – und hat bei der diesjährigen Oscar-Verleihung wieder einmal ordentlich abräumen können.

Netflix ist ein Erfolgsmodell. Zwar gibt es immer mehr Wettbewerber, die dem US-Konzern den Marktführer-Titel streitig machen wollen, doch schon ein kurzer Blick in die Historie des Konzerns zeigt, dass dieser in der Lage ist, sich unentwegt neu zu erfinden und Marktlücken mit innovativen Konzepten zu füllen. Vor diesem Hintergrund können wir nur gespannt sein, was uns als Nächstes erwartet.

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Von der Online-Videothek zum Streaming-Giganten

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Netflix ist einer der größten Streaming-Dienstleister der Welt. Was nur wenige wissen: Gegründet wurde Netflix 1997 als Online-Videothek, welche per Post Filme zuerst auf DVD, später auch auf Blu-ray an ihre Kunden verschickte. Der Verleih über den Postweg und im Abo-Modell revolutionierte den US-amerikanischen Filmverleih. Und letztlich war es auch die Entscheidung der Gründer Marc Randolph und Reed Hastings, für eine verspätete Rückgabe von Filmen keine Strafgebühren zu verlangen, die Netflix schon bald zum Hauptkonkurrenten des damaligen Marktführers Blockbuster aufsteigen ließ. Nur zehn Jahre nach der Gründung verzeichnete Netflix über eine Milliarde verschickter Filme und TV-Shows – und leitete im selben Jahr mit dem Start des Streaming-Angebots gleichzeitig das Ende dieses Geschäftsmodells ein.

Der Einstieg ins Video-on-Demand-Geschäft war mutig: Als Netflix begann, den Abonnenten einen Streaming-Dienst zu offerieren, konnten anfangs nicht mehr als 1000 Filme und TV-Shows angeboten werden, was ein Prozent des ursprünglichen Verleih-Angebots ausmachte. Außerdem fehlten in vielen Haushalten die Gerätschaften für Streaming-Dienste, da das Kabelfernsehen Mitte der 2000er-Jahre noch vorherrschend war. Wie wir heute wissen, war es jedoch die richtige Entscheidung. Bis 2010 war Netflix ausschließlich in den USA verfügbar, dann begann die internationale Expansion. Heute bietet Netflix rund 2000 Serien und 4000 Filme im Abonnement an, ist in über 190 Ländern präsent und zählt über 230 Millionen Abonnenten, 10 Millionen allein in Deutschland.

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Vom Filmverleih zur Content-Kreation

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Im Zuge der Expansion erwarb Netflix die Rechte am Onlinevertrieb von Filmen der Filmstudios Paramount Pictures, Lions Gate Entertainment und Metro-Goldwyn-Mayer und legte damit den Grundstein für das umfangreiche Netflix-Streaming-Angebot, so wie wir es heute kennen. Damals stand Netflix allerdings noch in starker Konkurrenz zu den Kabelanbietern. Das änderte sich erst mit der Aufnahme von Eigenproduktionen. Zunächst waren es Stand-up Comedy Specials wie „Bill Burr: You People Are All The Same“, dann begann die Ära der Netflix-Original-Serien und -Filme. Das Angebot war ein durchschlagender Erfolg und sorgte außerdem für Aufsehen in der internationalen Filmszene: Die Serie „House of Cards“ mit Oscar-Preisträger Kevin Spacey in der Hauptrolle wurde mit zwei Golden Globes sowie drei Emmys ausgezeichnet. Die deutsche Netflix-Produktion „Im Westen Nichts Neues“ konnte bei den diesjährigen Academy Awards vier Oscars gewinnen, unter anderem in der Kategorie „Bester Internationaler Film“. Außerdem wurde der erste Animationsfilm aus dem Hause Netflix, „Guillermo del Toros Pinocchio“, mit einem Oscar ausgezeichnet, wie auch der dokumentarische Kurzfilm „The Elephant Whisperer“.

Netflix hat sich also in den letzten Jahren von einem reinen Zweitverwerter zu einem erfolgreichen Produzenten von Filmen und Serien entwickelt. Die Vorteile dieses strategischen Zuges liegen auf der Hand: Die Rechte an den eigenen Produktionen laufen nicht aus – einmal produziert, können die Filme und Serien immer weiter verwertet werden. Außerdem ist es Netflix als Produktionsfirma möglich, das Film- und Serienangebot gezielt auf die eigenen Kunden und Nutzer zuzuschneiden. Hierfür trackt und wertet Netflix die Benutzerdaten aus, analysiert beispielsweise, an welchen Stellen die User stoppen oder vor- und zurückspulen. Dieses Vorgehen macht es Netflix möglich, das Netflix-Portal für jeden einzelnen Nutzer zu personalisieren und damit eine einzigartige Customer Experience zu generieren. 

Dass Netflix weiß, was seine Kunden wollen, zeigt unter anderem die Krimi-Komödie „Murder Mystery“ aus dem Jahr 2019. Denn auch wenn die internationalen Kritiken eher verhalten ausfielen, konnte der Film mit Adam Sandler und Jennifer Aniston in der Hauptrolle schon drei Tage nach der Veröffentlichung auf Netflix 31 Millionen Haushalte erreichen. Der zweite Teil der Murder Mystery-Reihe ist ab Ende März auf Netflix zu sehen.

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Wandel als Erfolgsmodell

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Das Beispiel Netflix zeigt, wie sich ein Unternehmen mitsamt seiner strategischen Ausrichtung verändern und neu definieren kann und muss, um konkurrenzfähig zu bleiben und sich dem gesellschaftlichen Wandel anzupassen. Es zeigt uns aber auch, dass gerade die digitale Transformation kein Projekt mit einem eindeutigen Start- und Endpunkt ist, sondern vielmehr ein überdauernder Prozess, der Flexibilität voraussetzt und aktiv angegangen werden muss. So ging Netflix beispielsweise schon Anfang der 2000er-Jahre Partnerschaften mit Elektrounternehmen ein, die streamingfähige Geräte herstellten, um das eigene Angebot massentauglich und marktfähiger zu machen.

Mit einem Mindset, das Veränderung als Konstante begreift, konnte sich Netflix letzten Endes  zu einem der größten Unternehmen der Welt entwickeln – mit einem jährlichen Umsatz von rund 30 Milliarden US-Dollar. Erfolge und steigende Umsätze verzeichnet jedoch auch die Konkurrenz. Allein in Deutschland gibt es neben Netflix über 40 Streaming-Anbieter, darunter starke Marktteilnehmer wie Disney+, Amazon Prime Video und Apple TV+. So können wir gespannt sein, ob und mit welchen Mitteln es Netflix in Zukunft gelingen wird, sich gegenüber diesen Mitbewerbern zu behaupten. Mit den beliebten Eigenproduktionen und jährlichen Gewinnen von rund 5 Milliarden Dollar ist der Streaming-Anbieter unter der Führung von Greg Peters und Ted Sarandos dafür jedenfalls bestens aufgestellt.

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Ist das das Ende des Kinos?

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Der Streaming-Markt der kommenden Jahre verspricht, spannend zu werden. Denn Netflix und Co. investieren so viel Geld wie noch nie in ihre Eigenproduktionen. Wir Verbraucher können uns auf die neuen Filme und Serien freuen. Doch was bedeuten die Pläne und Investitionen der Streaming-Dienstleister für die Fernseh- und Kinoindustrie?

Tatsächlich werden heute bereits viele Filme und Serien, die von Streaming-Dienstleistern produziert werden, schon gar nicht mehr im linearen Fernsehen gezeigt. Und auch Hollywood-Produktionen feiern ihre Premieren immer häufiger auf den Streaming-Plattformen. In Deutschland haben Sender wie ProSieben auf diesen Umstand bereits reagiert. Lange Zeit war ProSieben als der Blockbuster-Sender bekannt. Heute will sich der Sender mit eigenproduzierten TV-Shows von der Konkurrenz absetzen. Wie CEO Daniel Rosemann in einem Statement mitteilte, habe die Programmänderung aber auch mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Filmindustrie zu tun. Mit einer befriedigenden Versorgung mit neuen Blockbustern aus Hollywood könne man vorerst nicht mehr rechnen.

Neben dem Fernsehgeschäft leidet schließlich auch das Kinogeschäft unter der Streaming-Konkurrenz und den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Während der Lockdowns wurden viele Wohnzimmer zum Heim-Kino umgewandelt – und angesichts des großen Angebots der  Streaming-Plattformen geben noch immer viele Verbraucher dem Heim-Kino gegenüber dem klassischen Kino den Vorzug. Nach einer Einschätzung des Branchenverbandes HDF Kino würden sich die Kinos zwar zunehmend wieder füllen, die Besucherzahlen lägen aber immer noch deutlich unter dem Niveau vor der Corona-Pandemie. Der Ticketumsatz habe im Jahr 2022 bei 694 Millionen Euro gelegen, im Vergleich zum Jahr 2019 sei dies immer noch ein Minus von 28 Prozent.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass dem Kino schon des Öfteren der Untergang prophezeit wurde, beispielsweise, als sich das Fernsehgerät als Standardausrüstung in den Haushalten etablierte. Die Chancen stehen gut, dass die Kinobranche wohl auch diese neue Herausforderung erfolgreich wird meistern können, zumindest dann, wenn die Branche zu programmtechnischen Anpassungen bereit ist und sich außerdem auf ihre Alleinstellungsmerkmale fokussiert. Neben der Vorführungsqualität geht es dabei vor allem um den Service und die Wohlfühlatmosphäre im Kino. Die Besucher müssen das Gefühl bekommen, dass ihnen im Kino etwas geboten wird, was sie zu Hause mit Netflix und Co. nicht bekommen.

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Über Netflix:

Netflix, Inc., wurde im Jahr 1997 gegründet und hat seinen Hauptsitz in Los Gatos, Kalifornien. Der Streamingdienst bietet eigene sowie lizenzierte Filme und Serien an und erreichte damit im Jahr 2022 einen Umsatz von 31,6 Milliarden US-Dollar.

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

www.netflix.com

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Legen Sie ihn in Ihren Warenkorb!

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Picture credit © Netflix


Leave a comment

Please note, comments must be approved before they are published