TGOA X FORRESTER

TGOA X FORRESTER

VON CARMELA MELONE
(Veröffentlicht in THE GAZETTE Ausgabe 02 im April 2023)

In den vergangenen zwei Jahren rückten Commerce-Technologien wie Order Management Systeme (OMS) in den Vordergrund, und digitale Unternehmen begannen, kräftig zu investieren, um mit den Erwartungen der Verbraucher Schritt zu halten. Wir sprachen mit Emily Pfeiffer, Principal Analyst bei Forrester, über die heutigen Herausforderungen im Handel und den Lärm des Marktes.

Die Pandemie hat viele Unternehmen dazu gezwungen, größere Investitionen zu tätigen, um den wachsenden Erwartungen ihrer Kunden gerecht zu werden und ihre veralteten Commerce-Technologien durch eine komplementäre Auswahl an spezialisierten Komponenten zu ersetzen. Angetrieben von den Marketingversprechen der Commerce-Tech-Anbieter, die die steigende Marktnachfrage witterten, müssen diese Unternehmen nun feststellen, dass ihr Commerce-Ökosystem durch die vielen verschiedenen Lösungen aufgebläht und oft zu komplex ist, um damit effektiv umzugehen. Während Entscheidungsträger darum kämpfen, einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden, plädieren Analysten wie Emily Pfeiffer für mehr Balance und Vernunft in einer Diskussion, die derzeit von zwei Extremen geführt wird.

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Interview mit Emily Pfeiffer, Principal Analyst bei Forrester

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Emily, Ihre Vorhersage für das Jahr 2022 lautete, dass Marken umfangreiche Investitionen in Commerce-Lösungen tätigen würden. Ist das eingetreten? Wenn ja, auf welche Technologiebereiche haben sich die Marken am meisten konzentriert?

Wir haben diese großen Investitionen Anfang des Jahres gesehen. Die Unternehmen fühlten sich damals festgefahren, weil sie den Eindruck hatten, dass die von ihnen verwendeten Technologien sie daran hinderten, schnell zu handeln, wenn sie es aufgrund der Pandemie tun mussten. Daher gaben sie viel Geld für die Aktualisierung ihrer alten Lösungen aus, was sich als sehr schwierig erwies, da solche Lösungen in der Regel tief im Unternehmen verankert sind.

In der zweiten Jahreshälfte haben wir eine Verlagerung hin zu kleineren Maßnahmen festgestellt. Statt dieser großen Vorabinvestitionen gab es mehr inkrementelle Änderungen, um Teile, Komponenten und Add-ons hinzuzufügen, die den Unterschied ausmachen und sich tatsächlich auf das Geschäft auswirken würden, ohne riesige Ausgaben zu verursachen. Diese Investitionen konzentrierten sich mehr auf die Optimierung; sie halfen den Unternehmen, überlegtere Entscheidungen zu treffen und ihre Arbeit zu optmieren, indem sie die Daten besser nutzten.

Glauben Sie, dass sich dieses Investitionsverhalten 2023 fortsetzen wird?

Wir wissen, dass jetzt alles knapper wird und viele Unternehmen ihre Budgets zurückfahren. Unseren Daten zufolge halten die führenden Digitalunternehmen jedoch ihre Digitalisierungsausgaben aufrecht und erhöhen sie sogar leicht. Sie haben also noch Spielraum für Investitionen, auch wenn es in diesem Jahr wahrscheinlich keine großen Schritte geben wird.

Wir haben auch festgestellt, dass einige Unternehmen zu weit in diese Richtung gegangen sind. Ein Drittel der digitalen Unternehmen wird es bereuen, Softwareunternehmen zu spielen. Einige, die so sehr mit den alten Systemen festgefahren waren, dass sie nie wieder in dieser Situation sein wollten, haben sich in die andere Richtung bewegt, hin zu einem vollständig modularen, wirklich komplexen Ökosystem. Einige dieser Unternehmen tun sich jetzt schwer, überhaupt zu starten. Die Projekte sind zu schwierig, sie dauern zu lange und sie sind zu teuer. Der Aufwand ist zu groß, selbst um auch nur den vorherigen Stand an Funktionalität wiederherzustellen. Was sie hatten, war monolithisch, veraltet und unflexibel – aber es war robust.

Wir arbeiten also mit unseren Kunden zusammen, um einen Mittelweg zu finden, denn diese beiden Enden sind in der Tat Grenzfälle. Keines von beiden ist für die meisten Unternehmen ideal. Man muss das richtige Gleichgewicht finden. Wir versuchen, ihre Entscheidungen gemeinsam mit ihnen zu moderieren.

Viele Anbieter setzen sich für Composable Commerce ein. Was halten Sie von diesem Konzept, und wie kommt „function-first“ ins Spiel?

Vor einiger Zeit war „Headless“ das Gebot der Stunde. Headless Commerce bedeutete einfach, die Frontend-Erlebnisschicht von der Backend-Engine zu trennen. Aber diese Frontend-Erlebnisschicht konnte auch eine interne Benutzeroberfläche sein und musste nicht unbedingt mit dem Kunden in Kontakt treten. Viele Anbieter missbrauchten den Begriff als eine Abkopplung des gesamten Ökosystems. Daher brauchten wir einen besseren Begriff. Wenn wir von „modular“ oder „komponentisiert“ sprechen, dann bedeutet das genau das: eine Aufspaltung in kleinere Teile.

„Function-first“ ist ein Rahmen für den Einkauf von Technologie. Er spricht sich nicht direkt für eine Aufspaltung des Ökosystems in viele Teile aus, sondern vielmehr dafür, die Entscheidung über die Technologie auf der Grundlage der Geschäftsprobleme zu treffen, die sie lösen soll. Wenn Sie auf diese Weise über Software nachdenken, werden Sie am Ende vielleicht sogar weniger Lösungen haben, da Sie feststellen, dass einige der Funktionen, die Sie zur Lösung Ihrer Probleme benötigen, bereits von Lösungen angeboten werden, die Sie schon haben.

Unternehmen stehen mit sämtlichen Organisationsbereichen vor vielen Herausforderungen – wo sollen sie anfangen?

Ich empfehle, nur einen oder zwei Bereiche im Commerce-Tech-Ökosystem auszuwählen und eine einheitliche Plattform einzuführen, die eine größere Auswahl an Funktionen bietet, aber innerhalb einer einzigen Plattform und über eine einzige Benutzeroberfläche verwaltet wird. Natürlich müssen wir immer noch darauf achten, dass es sich um eine moderne, offene Architektur handelt und dass wir nur die Funktionen einführen, die wir brauchen. Dies ist kein Rückfall in den Monolithen. Dann kann man darauf aufbauen und ein Gleichgewicht herstellen, bei dem man eine einheitliche – und nicht nur integrierte – Funktionalität und die speziellen Teile hat, die man braucht, um das gesamte Ökosystem zu seinem eigenen zu machen. Die Erfahrungen, die Sie auf diese Weise schaffen, sind einzigartig.

Die technologischen Bereiche, die Sie als Teile des Commerce-Ökosystems definiert haben, sind sehr unterschiedlich: Shopsysteme, CMS, aber auch PIM und DAM, OMS, POS und Payments. Wie können Unternehmen den richtigen Nukleus finden?

Das hängt wirklich von der Ausrichtung des Unternehmens ab. Es gibt Unternehmen, die sehr stark auf den Handel fokussiert sind. Für sie könnte eine einheitliche Plattform, die aus E-Commerce und OMS besteht, ein sehr intelligenter Kern sein. Andere Unternehmen legen den Schwerpunkt auf die Schaffung von Erlebnissen – sie suchen dann vielleicht nach etwas, das wir grob als DXP (Digital Experience Platform) bezeichnen. Es gibt verschiedene Bereiche des Ökosystems, auf die sich zu konzentrieren sinnvoll ist. Es gibt auch einige Lösungen, die als Integrations-Hubs fungieren, die es ermöglichen, sehr komponentenorientiert zu bleiben, was eine gute Lösung für diejenigen sein könnte, die viele technische Talente im Haus haben und mit diesem Grad an Komplexität umgehen können.

Können Sie den Einkäufern digitaler Unternehmen weitere Tipps für den Auswahlprozess geben – wo sollten sie anfangen?

Ein erster Schritt sollte die Lektüre von Analystenkommentaren zu einem bestimmten Technologiebereich sein, wie zum Beispiel die Forrester Wave™-Bewertung dieser Kategorie. Die „Feature-Liste“ beim Kauf von Technologie ist überholt. Je weiter man sich auf dem Markt bewegt, desto mehr wird die grundlegende Funktionalität einfach vorausgesetzt. Sie ist eine Grundbedingung – jeder hat sie. Was heute wirklich einen Unterschied macht, sind die Architektur, der bereits erwähnte Schwerpunktbereich und die Branchenerfahrung des Anbieters. Es gibt noch zwei weitere Faktoren, die im Auswahlprozess leider oft übersehen werden. Erstens: die Erfahrung des Geschäftsanwenders. Nichttechniker sollten nicht gezwungen sein, sich in viele verschiedene Benutzeroberflächen einzuloggen, um ihre Arbeit zu erledigen. Ebenso sollten Unternehmen nicht zu viele Schnittstellen für all ihre verschiedenen Benutzer pflegen müssen. Die Benutzerfreundlichkeit einer Software selbst wird zu einem entscheidenden Faktor, ebenso wie die Menge an Funktionalität, die in die Benutzeroberfläche integriert ist, im Gegensatz zu einer Lösung, bei der die Entwickler selbst die kleinsten Änderungen vornehmen müssen.

Der zweite wichtige Aspekt ist der kulturelle Fit. Wir reden nicht so viel darüber, aber es ist wirklich wichtig! Lösungen haben ihre eigene Kultur, sie haben ihre eigene Art, mit ihren Kunden umzugehen, sie haben ihre eigene Gemeinschaft um sich herum. Ich habe Kunden, die mich anrufen und sagen: „Ich muss weg von diesem Anbieter!“. Das hat nichts mit der Technologie zu tun, aber es kann zu entscheidender Unzufriedenheit führen.

Es stimmt, dass die kulturelle Eignung nicht unbedingt etwas ist, woran man während eines Evaluierungsprozesses denkt, aber sie kann zu einem katastrophalen Implementierungsprojekt führen. Das gilt auch für Dienstleister wie Softwareintegratoren oder Digitalagenturen, richtig?

Ja, absolut – das ist ein weiteres Beispiel für die Kultur. Manche Unternehmen wollen eine enge Beziehung zu ihrem Softwareanbieter, während andere sagen: Gebt mir nur die Technik und lasst mich in Ruhe, ich habe meine Leute, die das erledigen. Es kommt darauf an, was sie wollen und was für sie ideal ist.

Es gibt sehr spezielle, Cloud-native und API-first-Anbieter mit offener Architektur und einige Lösungen, die mehr Funktionen in sich vereinen und damit mehr Punkte abhaken. Das „More-in-One“-Modell ist in Europa beliebter als in den USA. Die US-Amerikaner wollen in der Regel die Funktionen auswählen, die sie benötigen – vor allem in der oberen Mittelstands- und Konzernebene. Aber sie spüren auch einen Rückschlag, wenn sie zu weit in diese Richtung gehen und ein zu komplexes Ökosystem vorfinden, das zu kostspielig in der Implementierung und vor allem auch in der Wartung ist. Der gesamte Markt versucht im Moment, sein eigenes Gleichgewicht zu finden.

Wo sehen Sie die Verantwortung der Analysten in diesem Spiel?

Wir sind sehr beschäftigt! Die wichtigste Rolle, die ein Analyst für seine Kunden spielen kann, besteht darin, den Lärm des Marktes zu dämpfen. Wenn man dem Marktlärm zuhört, hört man religiöse Aussagen, man hört Extremismus. Meine Aufgabe ist es, die Stimme der Vernunft zu sein, die die religiösen und sehr starken Marketingbotschaften durchbricht, die meinen Kunden das Gefühl vermitteln sollen, dass sie etwas Wichtiges verpassen, wenn sie sich nicht für diese heiße neue Sache entscheiden. Wir helfen ihnen, herauszufinden, was das Geschäftsproblem ist und wie es gelöst werden kann.

In welchen Bereichen haben die Unternehmen heute die größten Herausforderungen?

Ich glaube, wir tun uns immer noch schwer damit, die Daten, die wir in der Vergangenheit als Backoffice wahrgenommen haben, in die Praxis zu übertragen. Ich bin schockiert, wie viele selbst B2C-Unternehmen immer noch kein modernes, dediziertes OMS haben. Sie verlassen sich auf ihr ERP oder etwas, das sie selbst entwickelt haben, oder auf einen Konnektor, der sich OMS nennt, aber im Grunde kein OMS ist. All dies funktioniert, wenn man sich das Auftragsmanagement in der alten Definition der Orchestrierung von Aufträgen vorstellt. Es funktioniert jedoch nicht, um die heutigen Erwartungen der Verbraucher zu erfüllen. Sie erwarten, dass sie sehen, was gerade in einem bestimmten Geschäft in ihrer Nähe verfügbar ist. Bevor ich meine Bestellung aufgebe – wann wird sie ankommen oder wann wird sie zur Abholung bereit sein? Das sind Dinge, die früher über Nacht in einem großen Batch-Prozess im Backoffice verarbeitet wurden, und jetzt müssen sie in Millisekunden ablaufen, und zwar in der Zeit, in der ein Kunde seinen Einkaufswagen am ehesten stehen lässt. Wenn das Laden vier Sekunden dauert, ist das für einen Onlinenutzer buchstäblich wie ein Jahr. Um das in Echtzeit zu liefern, ist ein modernes, dediziertes OMS erforderlich, und viele Unternehmen haben noch kein solches eingeführt. Ich denke, dass dies unvermeidlich ist, und wir sagen voraus, dass sich der weltweite Markt für cloudbasierte OMS-Software von einer Milliarde Dollar im Jahr 2021 auf 1,9 Milliarden Dollar im Jahr 2026 verdoppeln wird. Die Erwartungen an die Lieferung waren noch nie so hoch, sie waren noch nie so schwer zu erfüllen und sie waren noch nie so abhängig von einer bestimmten Art von Technologie, die so viele Unternehmen noch nicht eingeführt haben. Ich denke, das ist eine große Herausforderung – diese operativen Daten in die Experience zu bringen.

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www.forrester.com

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Über die Interviewpartnerin:

Emily Pfeiffer,
Principal Analyst bei Forrester

Emily Pfeiffer ist Principal Analyst bei Forrester und befasst sich mit Handelstechnologie, einschließlich Order Management Systemen (OMS), B2C-Handelslösungen, Drop-Shipping und Werbeaktionen. Vor ihrer Tätigkeit als Analystin, die unter anderem für die Durchführung der Forrester Wave™-Bewertungen für B2C-Commerce und OMS verantwortlich ist, war Emily Pfeiffer Vice President of Marketing and Digital bei einem US-amerikanischen Markenhersteller.

Über Forrester:

Forrester hilft Unternehmens- und Technologieführern, mithilfe der Kundenorientierung das Wachstum zu beschleunigen, indem sie sie dazu befähigen, den Kunden in den Mittelpunkt ihres Handelns zu stellen – insbesondere in den Bereichen Strategie, Führung und im Geschäftsbetrieb.

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Picture credit © Rafael Cerqueira on pexels


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