Wolfgang Hölker im Gespräch über Heimat, Handwerk und die Liebe zu seinem Verlag
VON SANDY STRASSER
(Veröffentlicht in Das Produktkulturmagazin Ausgabe 1 2015)
Pippi Langstrumpf würde es sicherlich gefallen, das große, verspielt anmutende Büro von Wolfgang Hölker, Eigentümer und Geschäftsführer des Coppenrath Verlags. 1977 übernahm er das traditionsreiche Unternehmen und führte es mit seinen innovativen Ideen und entscheidenden Impulsen auf gänzlich neue Wege. Seitdem steht der Name Coppenrath für glänzende Kinderaugen, die nicht genug bekommen können von Geschichten rund um den kleinen Hasen Felix, Prinzessin Lillifee oder viele weitere seiner Erfolgsfiguren. Wir haben den charismatischen Westfalen zum exklusiven Interview getroffen.
Herr Hölker, Sie sind gelernter Industriekaufmann. Wie und wann sind Sie auf die Idee gekommen, Kinderbuchverleger zu werden?
Wolfgang Hölker: Auf die Idee kommt man eigentlich nicht. Man stolpert vielmehr in so etwas hinein. Zunächst habe ich eine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen. Ich kann also Soll und Haben unterscheiden und auch eine Bilanz lesen. Das hat mir gutgetan. Bis heute habe ich eine gesunde Existenzangst. Das heißt für mich aber auch, dass ich erst darüber nachdenke, ob ich mir bestimmte Dinge leisten kann oder nicht. Deshalb schaue ich heute noch genau auf meine Zahlen. Ich sage immer: „Frag nie, wie viele Bücher du verkauft hast, nur, wie viele du noch im Lager hast. Das ist die Zahl, die zählt.“ Das sind zwar ganz pragmatische, aber enorm wichtige Dinge.
Mit 19 Jahren habe ich zusammen mit einem Freund eine Galerie aufgemacht, mit der wir die Leute fördern wollten, die sich in unserem provinziellen Umfeld tummelten. Im Nachhinein nicht sonderlich erfolgreich, aber dennoch mit unheimlichem Einsatz. Wir haben dann mit den Künstlern angefangen, die ersten Bücher zu machen. Daraus entstanden ist meine Begeisterung für Grafik und Malerei. Sie hat mich schlussendlich in eine Werbeagentur geführt, in der ich zwei Jahre eng mit einem Grafiker zusammengearbeitet habe. Parallel dazu habe ich außerdem zusammen mit der Illustratorin Antje Vogel bereits das erste Kinderbuch gestaltet.
Was bedeutet es für Sie, einen Verlag zu führen, der sich fast ausschließlich um die Welt der Kinder dreht?
W. H.: It’s a good day today. Why not smiling? Ich bin für Sachen, die ans Herz gehen und die überdauern. So ist es auch bei unseren Büchern. Was wir verbreiten möchten, ist Freude. Wir haben ein lächelndes Gesicht – das ist unser Job. Deshalb habe ich für die Bücher eine große Verantwortung. Mir ist es wichtig, dass wir mit ihnen nicht kleine Einsteins erziehen, sondern Mädchen und Jungen mit Gefühlen. Auch ich schäme mich nicht für meine Gefühle. Wenn ich weinen muss, dann weine ich. Wenn mir Kinder schreiben, ist das für mich immer ein Riesenspaß. Wenn ich sie dann später treffe, sagen sie: „Mit diesem Buch von Ihnen bin ich groß geworden“, dann macht mich das stolz.
Wie sehen Sie Ihren Verlag aus der Markenperspektive?
W. H.: Wir reden bei uns natürlich auch ganz stark über die Marken Coppenrath und Spiegelburg. Wenn ich in ein Kinderzimmer komme, weiß ich in einer Sekunde, ob die Mutter was für uns ist als Zielgruppe oder nicht, weil ich die Dinge, die im Kinderzimmer stehen, sofort antizipiere. Wir alle definieren uns leider über Äußerlichkeiten. Denn wir alle haben unsere Eitelkeiten. Man kauft demnach nicht einfach irgendeinen Kinderwagen – du kaufst genau den einen.
Was denken Sie, wie wichtig ist es, dass Kinder mit klassischen Büchern aufwachsen und nicht nur mit Smartphone und Tablet-Computer?
W. H.: Das Thema Elektronik an sich ist nicht aufzuhalten. Vor allem durch das Internet sind heutzutage alle Dinge visuell sichtbar. Aber echte Gefühle können selbst Google & Co. nicht vermitteln. Darum ist es wichtig, den Kindern von Anfang an Bücher vorzulesen. Denn dabei wird das gesprochene Wort in Fantasie umgesetzt. Es tun sich Bilder auf und sie fangen an, ihre eigene Welt zu schaffen. Mit einem Tablet nimmt man ihnen die Chance dazu von vornherein. Die eigene Fantasie hat keine Chance, sich zu entwickeln. Deshalb finde ich es wichtig, dass Eltern sich ans Bett setzen, sich mit ihren Kindern unterhalten und gute Bücher vorlesen. Es ist also ein unheimlich wichtiges Medium. Das wird zweifellos auch in Zukunft so bleiben.
Wie wichtig ist Ihnen gutes Handwerk bei der Herstellung Ihrer Produkte?
W. H.: Mich interessiert das Buchhandwerk sehr. Dabei brauche ich aber keinen, der mir Witze erzählen kann, sondern in unserem Falle den Drucker an der Maschine, der mir seine Erfahrung widerspiegelt und der mir sagen kann, wie wir bestimmte Dinge am besten lösen. Wenn mir beispielsweise ein italienischer Drucker sagt, dass dieses Grün, das wir verwenden wollen, nicht optimal ist, dann kann ich ihm glauben. Ganz einfach, weil ich weiß, dass er sein Handwerk beherrscht. Generell finde ich alles, was man mit der Hand machen kann, faszinierend. Daher schaue ich, wenn ich unterwegs bin, immer bis in die letzte Ecke. Ich beschäftige mich einfach gerne mit den Möglichkeiten, die sich einem bieten. Dazu muss man die Dinge in die Hand nehmen, sie fühlen und riechen. Heutzutage gehen diese Sensibilitäten leider immer mehr verloren, weil immer mehr billig und anonym im Ausland produziert wird.
Was ist Ihre wichtigste Aufgabe innerhalb Ihres Unternehmens?
W. H.: Meine wichtigste Aufgabe ist definitiv meine Rolle als Mutmacher. Ich muss den Mitarbeitern bei uns im Hause ein Vorbild sein. Selbstverständlich muss ich sie auch in die Verantwortung nehmen. Das Wichtigste aber ist, Mut zu machen. Denn ich bin der Meinung, dass der Mensch nur von anderen Menschen lernt. Gleichzeitig muss man es aber auch ertragen können, wenn man scheitert. Schließlich gehört Misserfolg ebenso zum Leben dazu.
Was müssen Autoren fachlich mitbringen, um Teil Ihres Teams zu werden? Welche Charaktereigenschaften sollten sie besitzen?
W. H.: Im künstlerischen Bereich gibt es keine Kriterien. Man muss weder studiert haben noch sonst etwas. Man muss aber eine Message haben. Wie man darauf gekommen ist, ist nicht wichtig. Die entscheidende Frage ist aber: Wie werde ich als Verleger darauf aufmerksam? Wenn ein Autor beispielsweise bereits drei erfolgreiche Bücher geschrieben hat, dann schaue ich mir das Manuskript eher an, als wenn es von einem unbekannten Schriftsteller stammt. Doch die Branche und damit verbunden das Business ist „people to people“ und so trifft man immer wieder auf Menschen, die vielleicht noch neu sind in diesem Metier, aber von der Sache her nicht weniger gut als die erfahrenen Hasen.
Nicht nur inhaltlich, auch architektonisch gesehen ist Ihr Verlag etwas Besonderes. Die eine Hälfte befindet sich in den ehrwürdigen Hallen des alten Kornspeichers, der ab 1899 lange Jahre der Versorgung der Bevölkerung von Münster diente. Die zweite bildet eine umgebaute Feuerwehrwache. Weshalb diese besonderen Locations?
W. H.: Ich finde es enorm wichtig, wie man lebt und womit man sich beschäftigt, weil man das am Ende ausstrahlt. Ich fühle mich in diesen Räumlichkeiten einfach sehr wohl. Denn wissen Sie, alles hier hat eine persönliche Geschichte. Die Dinge, die Sie hier in meinem Büro sehen, sind nicht zur Dekoration. Das alles steht nicht zufällig an Ort und Stelle. Ich kann Ihnen zu allem eine Geschichte erzählen.
Als Chef und Eigentümer des Coppenrath Verlags sind Sie stets umgeben von Prinzessinnen, Rittern und Piraten. Was dient Ihnen als Inspirationsquelle für neue Figuren?
W. H.: Da gibt es zwei Sachen: Wir überlegen uns im Team, was Kinder brauchen. Viele Autoren denken dahingehend leider „too strange“. Dabei sind es ganz profane Dinge, die Kinder gerne haben, wie beispielsweise Fußballspieler, Ritter, Dinosaurier oder Prinzessinnen. Stellt sich allerdings die Frage, weshalb beispielsweise gerade unsere Lillifee so beliebt ist. Schließlich gibt es auf dem Markt Hunderte von Prinzessinnen. Doch genau das ist letztlich die Kunst: die Figuren zu etwas Besonderem zu machen. Zu Charakteren mit entsprechender Aura, die die Kinder faszinieren und die sie in eine andere Welt träumen lässt.
Wohin ziehen Sie sich am liebsten zurück, wenn Sie sich eine Pause vom Alltag gönnen möchten?
W. H.: Da gibt es ebenfalls zwei Dinge: Wenn ich mich unmittelbar zurückziehe in mein Privathaus, dann verbringe ich viel Zeit in meinem eigenen Atelierhaus nebenan. Da darf übrigens keiner aufräumen. Ich fahre aber auch gerne nach Brüssel und nach Antwerpen. Das sind zwei Lieblingsstädte von mir. Diese Orte habe ich gerne – sie beruhigen mich.
Wie würden Sie sich selbst beschreiben?
W. H.: Als bodenständigen Westfalen.
Wodurch zeichnet sich Ihr Charakter aus?
W. H.: Ich war schon immer neugierig. So lange ich denken kann. Mich interessiert, was unsere Gesellschaft ausmacht. Dennoch sollte man sich dabei auf die wirklich wichtigen Dinge fokussieren. Denn gerade als Unternehmer hat man eine besondere Verantwortung. Es gibt aber definitiv nicht viele Leute, die auf der einen Seite kreativ und auf der anderen auch wirtschaftlich interessiert sind. Bei mir ist die Mischung, denke ich, ganz gut. Und ich glaube, was mich noch auszeichnet, ist ein gutes Auge für verschiedene Dinge.
Gibt es eine Persönlichkeit, deren Schaffen Sie besonders bewundern?
W. H.: Karl Lagerfeld. Er hat diese unendliche Neugierde und dieses gewisse Faszinosum. Zusammen mit ihm habe ich vor einigen Jahren ein Buch gemacht – „Des Kaisers neue Kleider“. Lagerfeld hat es illustriert. Er ist jemand, den ich in seiner Arbeit wirklich bewundere.
Wie betrachten Sie Ihren Werdegang rückblickend?
W. H.: Es sind immer die Zufälle des Lebens, die deine persönliche Geschichte schreiben. Mich haben viele Personen geprägt, die ich an diversen Lebenskreuzungen getroffen habe. Die müssen dabei nicht unbedingt spektakulär gewesen sein, aber sie haben mir etwas mitgegeben, das mir keiner mehr nehmen kann. Wenn man älter wird und man hinterlässt nach vielen Misserfolgen eine erfolgreiche Spur, dann wird man oftmals hochgepuscht. Eigentlich finde ich, dass ich mit 25 viel besser war als mit 65. Nur, das hat damals keiner gesehen. Früher hatte ich noch mehr Antennen. Ich war naiver, bin aber gleichzeitig viel intensiver auf Sachen angesprungen. Heute reduziere ich manchmal meinen Fokus auf ein paar wesentliche Dinge. Doch ich interessiere mich nach wie vor für unheimlich viele Dinge wie beispielsweise Grafik, Architektur, Malerei oder Kunstgeschichte. Dabei geht es mir nicht rein um das Dekorative, sondern vielmehr um Provenienz. Woher kommt eine Person beziehungsweise eine Sache, welchen Background hat sie, wie sind ihre Wurzeln etc. Ich finde das Leben nach wie vor noch spannend und ich merke, dass ich in meinem Alter noch viel interessierter bin als junge Menschen, die vielleicht gerade erst ins Berufsleben starten.
Wie wichtig ist Familie und Heimat für Sie?
W. H.: Ganz wichtig. Wurzeln zu haben und sich dazu zu bekennen ist schön. Ich war zwar nicht immer der allerbeste Vater, denn den Verlag aufzubauen erforderte viel Arbeit und dementsprechend Zeit. Doch ich bin stolz auf diesen Laden. Auch er hat in gewisser Weise etwas mit Heimat zu tun. Denn Sie müssen wissen, ich bin ein Weltbürger. Ich kann mich in Indien genauso wohlfühlen wie in Afrika. Im Herzen aber bin und bleibe ich Westfale.
Wer wird einmal in Ihre Fußstapfen treten?
W. H.: Vielleicht meine Töchter. Die eine im wirtschaftlichen, die andere im kreativen Bereich.
Welche privaten Träume möchten Sie sich in den kommenden Jahren unbedingt noch erfüllen?
W. H.: Doofe Träume habe ich nicht. Ich brauche kein Flugzeug oder vergleichbare Dinge. Ich habe aber viele Wünsche. So möchte ich beispielsweise einmal nach Myanmar reisen, ins goldene Dreieck.
Was bedeutet „Glück“ für Sie?
W. H.: Glück ist Zufriedenheit. Ich persönlich halte den Ball gerne flach. Es macht mich beispielsweise nicht glücklich, wenn wir eine Million „Lillifee“-Bücher verkauft haben – es macht mich zufrieden. Ich bin Existentialist. Das Leben ist so, wie es ist. Ich kann daran mitwirken und daran arbeiten, aber es ist so, wie es ist.
Wenn Ihr Leben und Wirken ein Kinderbuch wäre, wie würde der Titel lauten?
W. H.: Da würden mir mehrere einfallen. Das kann ich nicht mit einem Titel beantworten. Einer wäre aber „Robinson Crusoe“ von Daniel Defoe. Dann noch Astrid Lindgrens „Die Kinder von Bullerbü“ und auch ein wenig „Capt`n Sharky“.
WOLFGANG HÖLKER
Der Coppenrath Verlag hat eine lange Tradition und war vielen als wissenschaftlicher Verlag bekannt, bis er 1977 von Wolfgang Hölker, geboren 1948, übernommen wurde – und er dem Verlag mit seinen innovativen Ideen entscheidende Impulse gegeben und ihn auf gänzlich neue Wege gebracht hat. Mit seiner Frau, der Modedesignerin Siggi Spiegelburg, die der Edition „Die Spiegelburg“ auch den Namen gab, ist er seit über 25 Jahren verheiratet. Gemeinsam haben sie zwei Töchter.
Picture credits © Hermann Willers
Leave a comment