Alexander Dressler über die Vorteile der indisch-deutschen Zusammenarbeit
VON LARA VIRIOT
(Veröffentlicht in Das Produktkulturmagazin Ausgabe 1 2019)
Die Software der InBetween GmbH erstellt Publikationen für Marketing und Vertrieb sowie technische Dokumentationen. Für ihre Software-Entwicklung hat sie den Standort Indien gewählt und dafür eigens eine Firma etabliert. Im Gespräch mit uns erklärt Firmengründer Alexander Dressler, warum das Entwicklungsteam in Indien so erfolgreich ist.
Herr Dressler, Sie entwickeln Ihre Software in Indien und wurden 2017 als führendes Software-Unternehmen in Goa und 2018 in ganz Indien ausgezeichnet. Was sind für Sie die Vorteile des Standorts Indien?
Unsere Software muss kontinuierlich aktuell gehalten und den Bedürfnissen des Marktes entsprechend weiterentwickelt werden. Dies erfordert eine hohe Innovation, was eigentlich nur durch ein großes Mitarbeiter-Team richtig machbar ist. In Deutschland fehlen hierzu oft die Möglichkeiten. Ein Beispiel: Zur Gründung des Standorts in Indien im Jahr 2013 hatte ich gleichzeitig eine Stellenanzeige für einen Java Software-Entwickler via Monster in Deutschland und in Indien geschaltet. In Deutschland gingen drei Bewerbungen bei uns ein, welche alle ungeeignet waren. In Indien erhielten wir für die gleiche Stellenanzeige im gleichen Zeitraum mehr als 600 Bewerbungen!
Welchen besonderen Herausforderungen müssen Sie sich bei der Entwicklung Ihrer Produkte in Indien stellen?
Trotz der hohen Bewerberzahl ist es nicht einfach, kompetente Mitarbeiter zu gewinnen. Die Qualität der Studienabschlüsse ist inkonsistent, sodass wir relativ viele Bewerber ausfiltern müssen. Auch wenn wir Onlinetests nutzen, müssen wir viele auch tatsächlich persönlich einladen und noch einmal aufwendige Tests und Interviews durchführen – im Prinzip ein richtiges Assessment Center. Erst so können gute Bewerber herausgefiltert werden. Die Unterschiede sind hier frappierend, und der Rekrutierungsaufwand ist hoch. Eine weitere Herausforderung stellt die höhere Fluktuation der Mitarbeiter dar. Es ist für indische Mitarbeiter üblicher, den Arbeitsplatz häufig zu wechseln. Da die Einarbeitung in unsere Software sehr zeitaufwendig und langwierig ist, müssen wir hier besonders entgegenwirken. Durch einen Mix aus Motivationsmaßnahmen, der Möglichkeit von Auslandaufenthalten, Schulungen und Loyalitätsprogrammen schaffen wir es, die Fluktuation auf circa ein Drittel der in Indien üblichen Werte zu reduzieren. Neben den Herausforderungen der Human Resources ist die indische Bürokratie ebenfalls eine Erschwernis. Die Vorschriften für das Führen einer Firma in Indien sind komplex, ändern sich häufig und verlangen somit viel Geduld und Durchhaltevermögen. Zum Beispiel ist jetzt eine digitale Signatur vorgeschrieben. Das ist zwar grundsätzlich eine Verbesserung, doch der hohe Aufwand, um diese als Nicht-Inder zu erhalten, ist für uns schwer nachvollziehbar. Beispielsweise wurde gerade letzte Woche ein notariell und mit Apostille versehener Personalausweis als Adressnachweis abgelehnt und stattdessen eine Stromrechnung der deutschen Adresse (mit beglaubigter englischer Übersetzung, notarieller Bestätigung und Apostille vom Landgericht) verlangt. Das ist in Indien bürokratischer Alltag – jeder Beteiligte scheint gerne die Vorschriften noch pedantischer auszulegen als diese eigentlich gemeint sind. All dies nimmt viel Zeit und Geduld in Anspruch.
Mithilfe welcher Maßnahmen begegnen Sie diesen Herausforderungen?
In Bezug auf die Bürokratie hat es sich als nützlich erwiesen, selber zu recherchieren und neue Vorschriften im Original in Erfahrung zu bringen, um den tatsächlichen, minimalen Umfang zu verstehen und die Empfehlungen verschiedener Parteien beurteilen zu können. So konnte ich dann letztlich die Signatur doch mit dem Personalausweis als Adressnachweis beantragen, weil ich die richtige Vorschrift vorzeigen konnte. Bezüglich Human Resources ist es wegen der trotzdem höheren Fluktuation notwendig, das Onboarding zu optimieren, um möglichst früh eine hohe Effizienz der Mitarbeiter zu erreichen. Der wichtigste Punkt ist allerdings, dass sehr früh auch bei kleinen Teams verbindliche Prozesse eingeführt werden. Das gilt für die Verantwortlichkeiten bezüglich jedes Arbeitsschrittes und ganz besonders auch für die Dokumentation aller Schritte und Ergebnisse. Alles hier muss transparent für die Teams in Deutschland und Indien sein. Das erreichen wir durch die konsequente Verwendung von agiler Software-Entwicklung mit modernster Software-Unterstützung. Wir verwenden die ganze Bandbreite an Werkzeugen der Firma Atlassian und Partnern, um den Entwicklungs- und Qualitätsmanagementprozess zu dokumentieren, zu steuern und zu automatisieren. Wir können jede Anforderung, jeden Entwicklungsschritt und Test nachvollziehen. Es finden automatisch umfangreiche Tests der Software statt, teilweise bei jedem sogenannten Build (der natürlich auch vollständig automatisiert ist) oder auch jede Nacht. Dabei handelt es sich um Unittests, drei verschiedene Testautomatisierungstools, Performancetests und Tests mit Kundenprojekten. Zusätzlich gibt es noch manuelle Tests, welche aber auch in jedem Testschritt nachvollziehbar dokumentiert werden. Dies ermöglicht jederzeit Transparenz über den gesamten Software-Entwicklungsprozess, was ein riesiger Vorteil für das Unternehmen ist. Mittlerweile ist das ein großer Wettbewerbsvorteil – wir sind für unsere Firmengröße extrem strukturiert.
Was sind Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede in den Arbeitskulturen in Indien und Deutschland?
Es ist eine Besonderheit in Indien, dass mit Veränderungen innerhalb der Firma viel flexibler umgegangen wird. Prozessänderungen und Innovationen sind für Inder relativ selbstverständlich. Da tun sich deutsche Mitarbeiter oft viel schwerer. Auf der anderen Seite fällt uns bei der Arbeit in Indien auf, dass indische Mitarbeiter dazu neigen, lange um das eigentliche Thema herumzuarbeiten, statt nachzufragen, wenn Probleme auftreten. Ein großer Unterschied besteht vor allem in unserem Qualitätsbewusstsein: dem viel zitierten deutschen Ingenieur mit der Neigung zur Perfektion. In Indien ist es für Entwickler normaler, auch wissentlich unzulängliche Arbeiten abzuliefern, wenn es keine Prüfung gibt oder Konsequenzen hat. Dies wäre für deutsche Mitarbeiter in dem Maße kaum denkbar.
Was können die indischen und deutschen Kollegen voneinander lernen?
Indische Mitarbeiter gehen den Arbeitsalltag mit einer ordentlichen Portion Fröhlichkeit an, da können wir Deutschen uns einiges abschauen. Indische Mitarbeiter wiederum lernen mit der Zeit die „deutschen Tugenden“, wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Ordnungssinn.
Was hat Ihrer Meinung nach zum großen Erfolg des Standorts Indien geführt?
Die Gründung einer eigenen Firma mit der klaren Zielvorgabe, ein gutes Produkt in hoher Qualität zu entwickeln, war eine Grundvoraussetzung. So etwas funktioniert nicht, wenn das tatsächliche Ziel einer Unternehmung, wie zum Beispiel bei typischen Offshore Outsourcern, in Wirklichkeit darin besteht, nur möglichst viele Stunden abrechnen zu können. Wir haben mit einem Buchhaltungsbüro und einer sehr guten Steuerberatung wichtige lokale Partner, die für ein erfolgreiches Arbeiten unabdingbar sind. Außerdem leistet unsere lokale Direktorin vor Ort hervorragende Arbeit. In Indien gilt es, die richtige Mischung aus lokalem „so machen wir das hier in Indien“ und westlichen Arbeitsweisen umzusetzen.
Haben Sie Pläne, den Standort Indien weiter auszubauen, nachdem dieser sich bisher schon so erfolgreich entwickelt hat?
Wir haben kürzlich in Mumbai ein zweites Büro eröffnet, weil die Entwicklung so positiv ist. Damit haben wir jetzt Platz für mehr als 50 Mitarbeiter und sind damit für die nähere Zukunft gewappnet. Das Schöne ist, dass ein weiterer Ausbau relativ einfach ist, wenn alles erst einmal funktioniert.
ALEXANDER DRESSLER
Alexander Dressler, Diplom-Informatiker, ist seit 2008 Geschäftsführer der InBetween Deutschland GmbH und seit 2013 Gründer und Managing Director der InBetween Software Development Pvt. Ltd. in Goa. Mit mehr als 15 Jahren Erfahrung im Bereich Software-Entwicklung und automatisiertem Publizieren gilt er als Experte in der Branche.
Bildnachweis © Subir Basak/Getty Images
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