IL MIO AMORE

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Luxuslabel Scarosso und der Duft von „Bella Italia“

VON SANDY STRASSER

(Veröffentlicht in Das Produktkulturmagazin Ausgabe 1 2015)

Der unvergleichliche Geruch von Leder strömt einem beim Betreten der Scarosso-Schuhmanufaktur in dem kleinen italienischen Städtchen Montegranaro, etwa 45 Kilometer südlich von Ancona, unentwegt in die Nase. Maschinen arbeiten und Hammer klopfen. An diesem Ort voller Kreativität und Innovation dreht sich alles um den einzigartigen Scarosso-Schuh. Ein Team aus 50 Angestellten widmet sich dort mit der notwendigen Liebe zum Detail der traditionellen Handwerkskunst. Hier greift man auf einen 40-jährigen Erfahrungsschatz zurück. Die beiden Label-Gründer Moritz Offeney und Marco Reiter steuern die Geschäfte von Berlin aus. Uns verraten sie, welchen Weg sie mit ihrer Marke einschlagen wollen und welches Potential ihrer Meinung nach im Online-Handel steckt.

Wann und wie kamen Sie auf die Idee, einen Online-Shop für italienische Luxusschuhe zu eröffnen?

Marco Reiter: Moritz und ich machten 2010 unsere MBA an der Bocconi-Universität in Mailand und fragten uns, weshalb man in Mailand so hochwertige Lederschuhe zu absolut fairen Preisen kaufen kann und in Nordeuropa nicht. Nach intensiver Recherche fanden wir heraus, dass es der Mittelmann ist, der die Preise so unglaublich in die Höhe treibt. Das Gehalt, die Ladenmiete und andere Faktoren, die Geld kosten, sind die Feinde des Endverbrauchers. Aus dieser Feststellung entstand eine gemeinsame Idee und aus dieser schließlich das Label Scarosso. Wir entschieden uns für unser Kernprodukt – handgefertigte italienische Schuhe – und machten uns auf die Suche nach dem passenden Hersteller. Den Tipp, sich in Le Marche umzuschauen, erhielten wir vom Dekan der Universität, der aus dieser Gegend stammt. Eine Schuhmanufaktur mit mehreren Jahrzehnten Erfahrung fertigte dann die erste kleine, aber feine Herrenkollektion für uns, die wir im Juli 2010 auf dem Campus der Uni und an Freunde verkauften.

Welche Vision steckt dahinter?

Moritz Offeney: Unsere Vision ist „Smart Luxury“. Wir wollten beweisen, dass es möglich ist, zu erschwinglichen Preisen Produkte aus dem Luxussegment zu verkaufen, in dem man herkömmliche Prozesse auf intelligente Weise unterbricht und verändert. Durch das simple Ausschalten des Mittelsmanns ist ein Qualitätsprodukt auf einmal für eine größere Gruppe erreichbar. Des Weiteren möchten wir unser Label weiterhin im internationalen Markt etablieren und das  Sortiment weiter auszubauen. Neben Schuhen bieten wir mittlerweile auch Accessoires  wie Regenschirme, Strümpfe, Taschen, Reiseaccessoires und Schuhpflege an – natürlich  alles „Made in Italy“. Bald launchen wir außerdem unseren einzigartigen Maßschuh-Service.

Welche Herausforderungen hatten Sie zu Beginn zu meistern?

M. R.: Nach dem Studium hatten wir zwar theoretisches Wissen, aber in der Praxis weder Geld noch Erfahrung mit Schuhen und der Führung eines Unternehmens.

Wie unterscheidet sich Ihr Geschäftsmodell von dem anderer Anbieter im Internet?

M. R.: Das Revolutionäre an unserem Geschäftsmodell ist neben den niedrigen Preisen das innovative Vertriebskonzept: Wir lassen den Zwischenhandel komplett außen vor und reichen die so eingesparte Marge direkt an den Kunden weiter. Das heißt, der Käufer erhält Schuhe in der gleichen Qualität wie bei den großen Luxuslabels – ohne jedoch deren Vertriebs- und Lizenzgebühren bezahlen zu müssen. Das Resultat ist ein neues Preis-Leistungs-Verhältnis im Luxussegment. Es ermöglicht größeren Kundengruppen den Zugriff auf elitäre Produkte.

Was ist generell das Besondere an Ihrem Label?

M. O.: Unsere Philosophie ist es, die wesentlichen Merkmale von „Made in Italy“ – Premiumqualität, Detailgenauigkeit und ein zeitgemäßes Design – in den Stil und die Fertigung unserer Produkte einfließen zu lassen. Für die Umsetzung dieser Philosophie setzten wir von Anfang an auf die Zusammenarbeit mit Schuhmanufakturen aus Le Marche in Mittelitalien. Die hier ansässigen Schuhmanufakturen haben ihren guten Ruf seit Generationen und produzieren für viele namhafte Premiummarken. Mittlerweile fertigen acht Familienunternehmen für Scarosso. Außerdem garantiert das Siegel „Made in Italy“ nicht nur für die Qualität der Schuhe, es steht auch für Transparenz und Nachhaltigkeit in der Herstellung. Gute Arbeitsbedingungen sind die Voraussetzung für die Einhaltung der hohen handwerklichen Standards. Unser Qualitätsversprechen steht somit automatisch auch für die Ethik des Unternehmens.

Für Ihre Schuhe verwenden Sie ausschließlich edelste italienische Echtledermaterialien. Beschreiben Sie uns die Faszination, die das Arbeiten mit derart hochwertigen Stoffen auf Sie ausübt?  

M. R.: Es ist einfach ein tolles Gefühl, mit so hochwertigen Materialien arbeiten zu dürfen. Man spürt die Liebe zum Detail und die große Sorgsamkeit, mit der unsere Produkte hergestellt werden.

Ihr gesamtes Sortiment wird bis ins kleinste Detail in aufwendiger Handarbeit gefertigt. Weshalb ist Ihnen das traditionelle Handwerk so wichtig?  

M. O.: Die Erhaltung von Tradition liegt uns besonders am Herzen. Immer mehr seit Generationen überliefertes Wissen verschwindet. In diesen Zeiten wird so etwas immer kostbarer. Gerade deshalb steigt auch die Wertschätzung solcher Produkte in der Gesellschaft.

Dennoch ist der Preis für Ihre Produkte erschwinglich. Wie funktioniert das?  

M. R.: Der Mittelsmann wird ausgelassen.

Auf Ihrer Website können Kunden zudem selbst kreativ werden und ihre Schuhe nach ihrem eigenen Gusto individuell designen. Was passiert mit den Stücken, die wieder retour kommen?  

M. R.: Wir haben sehr wenig Retouren, da gerade das individualisierte Produkt natürlich meistens besser passt, gefällt und begeistert, es ist halt etwas „Eigenes“. 

Ihre Schuhmanufaktur ist in dem kleinen Städtchen Montegranaro beheimatet. Alle Mitarbeiter dort sind aus der Gegend und entweder befreundet oder verwandt. Was sind die Gründe für Ihre doch sehr familiäre Unternehmensphilosophie?  

M. O.: Für uns ist das „Wir-Gefühl“ sehr wichtig. Das fängt bei den Produktionsstätten an und spiegelt sich in unserer internen Unternehmensführung wider. Viele gemeinsame Aktivitäten außerhalb der Arbeitsroutine verbinden alle und lassen uns ein starkes Teamgefühl entwickeln. Und das merkt man auch unseren Produkten an.

Was bedeutet Ihnen Authentizität im beruflichen Umfeld?

M. R.: Alles. Ohne unsere 100-prozentige Authentizität gäbe es Scarosso schon lange nicht mehr.

Was ist für Sie das Spannende am Thema E-Commerce? Welches Potential birgt das Ganze? 

M. O.: Es ist die globale Erreichbarkeit rund um die Uhr. Neue Innovationen wie Costumization bergen ganze indus-trielle Revolutionen in sich.

Welches technische Fundament benötigt man, um sich am Markt erfolgreich zu behaupten? 

M. O.: Wenn man E-Commerce als Hauptkanal hat, braucht man ein starkes IT-Inhouse-Team, welches sich pausenlos um die Pflege und Updates kümmert. Da sind so viele Menschen involviert – es ist weit mehr Arbeit, als man sich das vorstellen kann.

Haben Sie auf ein Standard-Produkt gesetzt (wenn ja, welches und warum?) oder galt es, ein neues zu entwickeln, das Ihre speziellen Bedürfnisse bis ins Details perfekt umsetzt? 

M. R.: Das System Magento hat sich im E-Commerce stark bewährt. Nach den ersten Anfängen haben wir es immer mehr für uns passend individualisiert. 

Welche Hürden müssen Ihres Erachtens genommen werden, um den klassischen Handel im Internet in ein neues Zeitalter zu katapultieren? 

M. R.: Die Thematik der unterschiedlichen Größen ist nach wie vor eine Herausforderung im Vergleich zum normalen Einkauf im Shop. Dann fehlt natürlich auch vollkommen das „Touch and Feel“. Wenn man gutes Leder fühlt und riecht, ist das ein Erlebnis. Wenn diese Sinnlichkeit erreicht wird, sind wir wahrlich in einem neuen Zeitalter angekommen.

Welche „goldenen Regeln“ würden Sie dahingehend für die Branche definieren, wenn Sie entscheiden dürften? 

M. O.: Wir wünschen uns mehr Sicherheit und Schutz durch Gesetze auch für den Händler. Hohe Servicequalität und gute Beratung sind nicht allein Ladengeschäften vorbehalten. Persönliche Empfehlungen, kleine Aufmerksamkeiten und Überraschungen im Paket sowie gut strukturierte Marketingmaßnahmen, die persönlich auf die Kunden zugeschnitten sind, können auch im E-Commerce für ein vertrauensvolles Verhältnis sorgen. Im Laden haben Kunden alle Vorgänge im Blick, beim Online-Shopping sind sie auf eine gute Informationspolitik des Händlers angewiesen.

Wo möchten Sie mit Scarosso in zehn Jahren stehen? 

M. O.: Wir möchten eine globale und weltweit führende Schuhmarke sein, die das Segment „Smart Luxury“ etabliert hat.

Was denken Sie, welche Basics sollte ein Mann von Welt unbedingt im Kleiderschrank haben?

M. R.: Ein Paar schwarze Schuhe, ein Paar braune Schuhe, zueinander passende Accessoires, einen dunklen Anzug, ein weißes Hemd, einen guten Regenschirm und einen randgefüllten Flachmann für Notfälle.

Stilvoll zu sein bedeutet für Sie ...

M. O.: Zur richtigen Zeit das Richtige zu tragen und zu sagen: „Less is more.“ 

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MORITZ OFFENEY & MARCO REITER 

CEO Moritz Offeney wurde 1980 geboren. Nach seinem Jurastudium schloss er seinen MBA in M&A und Strategy Consultancy ab. Er verfügt über Erfahrungen im Investmentbereich von Start-ups sowie im E-Commerce. Sein Partner Marco Reiter, Jahrgang 1985, hat einen Master in BWL und einen MBA in Corporate Finance und bringt Erfahrung im Bereich Venture Capital mit. Bei Scarosso hält er die Position des CFO inne.  

scarosso.com

Picture credits © Scarosso


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