HINTER DEN KULISSEN DES E-COMMERCE-MARKTES

HINTER DEN KULISSEN DES E-COMMERCE-MARKTES

VON TEMEL KAHYAOGLU
(Veröffentlicht in THE GAZETTE Ausgabe 01 im November 2022)

Wenn jemand tiefe Einblicke geben kann in die Entwicklungen des E-Commerce, dann er: Hybris-Gründer und Investor Moritz Zimmermann. Wir sprachen mit ihm über Composable Commerce, „echte“ Cloud und die Zukunft des Commerce-Marktes.

Die Aufgabe von Analysten ist es, den Gesamtzusammenhang und den Kontext von spezifischen Märkten zu ergründen und für die Entscheidungsträger von Unternehmen transparent und verständlich wiederzugeben. Die Grundlage dieser Arbeit ist der ständige Diskurs mit Branchenexperten – dazu zählen auch Investoren, die einen ähnlichen objektiven Blick auf die Märkte haben und selbst von einem großen Netzwerk mit regem Austausch profitieren. Umso mehr haben wir uns gefreut, in diesem Interview mit einem der führenden E-Commerce-Experten, Moritz Zimmermann, zu sprechen. 1997 hat er das E-Commerce-Unternehmen Hybris mitgegründet, heute ist er Venture Capitalist bei 42CAP und gestaltet damit die nächste Generation von E-Commerce-Technologien mit.

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Interview mit Moritz Zimmermann, Hybris-Gründer und Investor

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Moritz, du bewegst dich bereits seit 25 Jahren im Bereich E-Commerce und hast mit deinem Team schon vier Generationen an E-Commerce-Plattformen entwickelt. Was waren die größten Veränderungen im Markt während dieser Zeit?

Es hat sich natürlich sehr viel getan – vor über 20 Jahren hat es ungefähr eine Million Euro gekostet, um einen Onlineshop zu entwickeln, inklusive der ganzen Dienstleistungen. Heute kann jeder selbst ohne technische Fähigkeiten mit Shopify oder ähnlichen Anbietern übers Wochenende einen Shop zusammenklicken. Das ist natürlich nicht vergleichbar mit den großen Unternehmensprojekten, wo es auch auf die Systemintegrationen und die Infrastruktur ankommt. Dennoch zeigt das auf, wie stark sich die Möglichkeiten hier verändert haben. Darüber hinaus hat sich die Rolle des E-Commerce für die Unternehmen grundlegend verändert. Für viele Firmen ist es zum zentralen Nervensystem ihres Business geworden. Und das gilt nicht nur für die klassischen Konsumentenprodukte. Auch im B2B-Umfeld, wo es teilweise um sehr komplizierte Dinge geht wie Konfigurationen und Kombinationen, ist E-Commerce mittlerweile nicht mehr wegzudenken.

Warum braucht es jetzt erneut eine neue Generation Software, um die Industrie voranzubringen? 

Veränderungen gab es immer, und im Fall von E-Commerce sind diese besonders dynamisch. Wir haben beispielsweise während meiner zehn bis 15 Jahren bei Hybris die Software dreimal komplett neu gebaut. Ein Grund dafür war, dass sich der zugrunde liegende Internet-Stack sich so schnell verändert hatte. Das war sicherlich auch eines unserer Erfolgsgeheimnisse. Zwar liefern die etablierten Anbieter heute funktional zweifellos alles, was die Kunden brauchen. Ihre Software aber wurde zu einer Zeit gebaut, in der es noch keine Public Cloud-Infrastruktur gab. Dabei stehen Unternehmen vor der Herausforderung, ihre eigenen Geschäftsmodelle schnell anpassen zu können. Sie müssen heute viel experimentieren und ausprobieren, bis sie die richtigen Ansätze gefunden haben. Das erfordert ein hohes Level an Agilität.

Amazon hatte diese Agilität bereits vor über zehn Jahren. In einem klassischen System werden funktionale Änderungen etwa alle vier Wochen bereitgestellt. Das sind zwölf Deployments im Jahr. Amazon schafft im gleichen Zeitraum fünf Millionen Deployments – das ist eines alle drei bis vier Sekunden! Möglich ist das durch Parallelisierung, also durch die Verteilung auf viele kleine Teams, die unabhängig voneinander arbeiten. Diese Fähigkeit wollen mehr und mehr Softwareanbieter auch haben, was aber eine ganz andere Form der Organisation und Softwarearchitektur voraussetzt. Es braucht dafür dezentrale, unabhängige Teams, die selbst entscheiden und damit einen gewissen Teil der Funktionalität selbst verantworten. Und es geht natürlich nur mit einer neuen Architektur, bei der, anders als bei einem Monolithen, die Software in kleine Services zerteilt wird.

Die Kosteneinsparungen, die mit einer Multi-Tenant-SaaS-Software einhergehen, sind ein weiteres wichtiges Thema. Man kennt es ja von den vielen kleinen Services, die wir jeden Tag nutzen – wir zahlen unsere Abogebühr, und die Services werden über die Zeit einfach immer besser, ohne dass wir etwas merken oder gar draufzahlen müssen für die neuen Versionen – und das teilweise täglich, mindestens aber viermal im Jahr.

Bei einem Single-Tenant-Produkt mit einem Customization-Ansatz hingegen müssen Unternehmen immer noch teilweise sechsstellige Beträge bezahlen, um die Customizations zu testen, selbst wenn die eigentlichen Upgrades in der Subscription inbegriffen sind. Da überlegen sich Unternehmen natürlich dann zweimal, ob sie ein Upgrade durchführen oder lieber auslassen, und verringern dadurch im Zweifel ihre Verbesserungsgeschwindigkeit. Die großen monolithischen Blöcke werden mehr und mehr ersetzt durch viele kleine Services. Für den E-Commerce-Bereich sind vor allem zwei Dinge wichtig: Es gibt generell ein sehr hohes Innovationstempo, und es handelt sich grundsätzlich um Prozesstechnologien. Wer die besseren Prozesse hat, gewinnt. Das bedeutet auch, dass Prozesse ein wichtiger Wettbewerbsfaktor sind, die anpassbar sein müssen. Man hat zumindest im Enterprise-Segment einen sehr hohen Customization-Bedarf, und es ist gar nicht so trivial, diese in einer Multi-Tenant-Cloudarchitektur umzusetzen. Das war bei den On-Premises-Lösungen noch leichter zu realisieren, wo man sich noch nicht die Infrastruktur mit anderen Tenants geteilt hat.

Du hast vorhin die Funktionalität der etablierten Anbieter angesprochen. Was sind denn tatsächlich die wichtigsten Differenzierungsmerkmale im E-Commerce für Unternehmen, die gerade im Auswahlprozess sind?

Es gibt natürlich funktionale Unterschiede, und es gibt noch viel an Innovationspotenzial, was in dieser Hinsicht noch kommen wird. Die etablierten Anbieter haben natürlich alle Zeit der Welt gehabt, um funktional alle Anforderungen abzudecken, Feedback einzuholen von unterschiedlichsten Kunden und sich laufend zu verbessern. Funktional können diese Anbieter vielleicht sogar mehr als die neuen.

Die Frage muss also immer sein, was genau gebraucht wird: Sind Agilität und niedrigere Total Costs of Ownership gefragt, ist es schwieriger für etablierte Anbieter, das nachträglich in einem älteren System zu realisieren. Auf einer modernen Architektur weitere Features dazuzubauen, ist da für einen neuen Anbieter viel einfacher. Diese potenziell spürbaren Vorteile der Cloud-Infrastruktur sind im E-Commerce stärker ausgeprägt als beispielsweise im PIM-Markt, einfach, weil sich so viel tut im E-Commerce.

Du hast bereits von der Fragmentierung von Funktionsbausteinen gesprochen – dann gibt es noch Aspekte wie Skalierbarkeit und Elastizität, die erst in einem echten Cloud-Environment überhaupt möglich sind. Das sind alles Themen, die unter den Experten alle akzeptiert und anerkannt sind. Jetzt gibt es aber viele etablierte Anbieter, die aus der On-Premises-Welt kommen und ASP (Application Service Providing) anbieten, die Technologie auf AWS laufen lassen, und das Ganze dann „cloud SaaS“ nennen. Wir merken, dass wir da gerade im Advisory sehr viel Aufklärungsarbeit leisten müssen. Wie ist es im E-Commerce-Bereich – gibt es hier auch noch viele Anbieter, die monolithische Systeme als Cloud-Lösungen verkaufen?

Ich glaube, es ist dort mindestens ähnlich ausgeprägt. Cloud definiert sich eben über eine klare Liste an Aspekten, und manche davon sind einfacher umzusetzen und manche eher schwierig. Das Erste ist ein Abo- oder ein nutzungsbasiertes Preismodell. Das ist relativ einfach umzusetzen. Der zweite Aspekt ist, dass der Betrieb der Infrastruktur vom Anbieter übernommen und nicht selbst gehostet wird. Auch das ist relativ einfach umzusetzen – notfalls eben mit ASP. Dann wird es schon schwieriger. Ein weiterer Aspekt ist die von dir angesprochene elastische Skalierung. Das umzusetzen, ist am Ende eine interne Kostenfrage des Anbieters und lässt sich mit unterschiedlichen Technologien unterschiedlich gut umsetzen.

Die wahren Knackpunkte sind dann die bereits angesprochenen Upgrades und die Agilität. Und diese beiden letzten Punkte – das ist genau das, wo sich die Anbieter letztendlich unterscheiden. Das Umbauen eines alten Softwareproduktes in eine echte serviceorientierte Architektur würde von einem Hersteller erfordern, etwa 50 bis 60 Prozent seiner Entwicklungsmannschaft über fünf bis sechs Jahre für die Umsetzung abzubestellen. Und danach steht die Migration der Legacy-Kunden auf die neue Architektur noch aus. Das sind Investments, die nur die wenigsten in der Lage (und bereit) sind zu tätigen.

Aber klar – jeder will heute „Cloud“ sein und vermeidet dann im Zweifel, zu sehr auf die Details einzugehen. Natürlich gibt es aber auch Szenarien, in denen hohe Customization-Anforderungen überwiegen und sich eine PaaS- oder ASP-Architektur besser eignet. Beispielsweise benötigen Multi-Level-Marketing-Organisationen mit einem E-Commerce-Modell, das auf mehreren Ebenen einer Vertriebspyramide kaskadierend stattfindet, ein so hohes Maß an Customizing, dass eine Single-Tenant-Lösung doch die bessere Wahl ist.

Was rätst du Unternehmen, die sich für eine neue E-Commerce-Lösung interessieren? Worauf sollten sie deiner Meinung nach achten?

Ich habe da berufsbedingt eine sehr eigene Sicht darauf. Als Venture Capitalist muss ich meinen Kopf sehr weit in der Zukunft haben und mir genau anschauen, was in fünf bis zehn Jahren passieren wird. Im Enterprise-Softwaremarkt werden etwa alle zehn Jahre die Karten neu gemischt. Wenn ein Unternehmen nicht in diese oben genannte Kategorie fällt und etwas extrem Spezifisches braucht, sollte es sehr drauf schauen, dass es einen Anbieter mit einer modernen Cloud-Architektur nimmt. Meine Wette als Investor in diesem Markt ist, dass die etablierten Anbieter zwar nicht in fünf Jahren verschwunden sein werden, aber sie werden signifikant Marktanteile abgeben müssen. Das sieht man heute schon.

Aufgrund all dieser tief technischen Argumentationen ist aktuell in vielen Unternehmen die IT verantwortlich für die Softwareauswahl. Das ist aber nicht der richtige Ansatz. Ich denke, dass es zukünftig mehr und mehr die Aufgabe von Analysten ist, ein klares Framework zu schaffen, mit dessen Hilfe auch ein Projektverantwortlicher aus dem Business – wo solche Projekte angesiedelt sein sollten – die wichtigsten Vor- und Nachteile der Softwarearchitekturen diverser Anbieter versteht, ohne dass er zu tief ins Detail gehen muss.

Das sehen wir genau so. Die Befähigung von Marktteilnehmern, gut informierte Entscheidungen zu treffen, ist auch unsere Mission. Noch mal zurück zur Cloud-Transformation: Bedeutet das aber nicht im Umkehrschluss, dass diese Anbieter zwangsläufig neu entwickeln müssen?

Ja klar, aber es ist eben sehr schwierig für ein etabliertes Unternehmen mit Tausenden von Kunden, einen solchen Weg zu verfolgen. Man muss das auch mal vergleichen: Für neue, moderne cloud-native Commerce-Produkte sind in den vergangenen zwei Jahren zwei Milliarden USD an Venture Capital geflossen. Das als Entwicklungsbudget ist viel mehr als die großen Anbieter in ihre Entwicklung stecken. Zudem muss die Führungs- und Organisationsstruktur so sein, dass sie eine langfristige Transformation will und begleitet. Unternehmen, die einen eher kurzen Planungshorizont haben und sich in erster Linie auf die nächsten zwei, drei Quartale konzentrieren, werden es da schwer haben. Das ist ein ganz großer Interessenskonflikt, der sehr schwierig zu managen ist. Da sind die neuen Start-ups unbelastet davon. Wahrscheinlich gibt es genau deswegen diese Durchmischung der Karten alle zehn Jahre.

Was genau verbirgt sich hinter den Begriffen Composable Commerce und Swarm? 

Anbieter brauchen immer wieder neue Begriffe, um sich vom Wettbewerb zu differenzieren. Man denke nur an den Begriff „Headless“ – wer sich das auf die Fahnen schreiben konnte, war automatisch modern. Dabei war unser Hybris damals schon seit 2011 „headless“. Composable ist der neue moderne Begriff, der momentan aufkommt. Das ist tatsächlich schon etwas schwieriger, da die Zerteilung eines Monolithen in composable Services mehr Entwicklungsaufwand bedeutet als lediglich eine API drumherum zu bauen, um headless zu sein oder die Software auf einen Hyperscaler in der Cloud zu packen. Lange Zeit war der Monolith als Software-Architektur führend – da war alles in einer Software, und es wird alles in einem Paket bereitgestellt. Bildlich gesprochen, ist so ein Monolith wie ein Wal. Weil Unternehmen nun aber Agilität und Tempo haben wollen und weil es natürlich noch ein paar Vorteile auf der Skalierungsseite hat, wird zunehmend Funktionalität in immer kleinere Services/Komponenten gepackt. Diese Services können für sich selbst existieren und auch von unterschiedlichen Anbietern kommen. Statt des großen Wals gibt es auf einmal einen ganzen Schwarm von kleinen Fischen. Dadurch haben Unternehmen mehr Auswahl und sicherlich auch Spezialisierungsvorteile – am Ende des Tages müssten die Schwarm-Services in Summe besser sein als der Monolith und ein höheres Agilitätstempo aufweisen.

Dieses Konzept hat auch Nachteile, zumindest heute noch. Der Kunde will am Ende einen funktionierenden Geschäftsprozess. Bei Monolithen ist der mit inbegriffen, da alles vordefiniert ist. So ist bei einem monolithischen E-Commerce-System meist noch ein Produktkatalog dabei, auch wenn ein separates PIM viel besser wäre. Es ist immer auch ein bisschen Suche dabei, auch wenn ein separater Such-Service viel besser wäre. Der Punkt ist: Es ist alles da. Wenn ich das mit dem Schwarm machen will, habe ich die Qual der Wahl. Da muss ich mir erst mal die Komponenten zusammensuchen. Und dann muss ich noch jemanden bezahlen, der sie mir integriert. Dieser Teil ist also noch nicht so richtig gut gelöst. Vor- oder teilkonfigurierte Schwärme für verschiedene Use Cases oder Branchen sind möglicherweise ein spannendes Zukunftsszenario für Integratoren, aber auch für Anbieter. Composable ist am Ende der Enabler für eine neue Form von Organisationsstruktur. Unternehmen können schneller sein, weil sie dadurch eine dezentrale Organisationsstruktur schaffen. Die müssen sie aber auch wollen – und oft ist das die größere Hürde.

Vor ein paar Jahren war die große Diskussion noch: Holist oder Best-of-Breed? Sind diese Konzepte nicht das endgültige Ende von holistischen Softwarelösungen?

Das ist ein interessantes Gedankenspiel, das alle paar Jahre immer wieder wie ein Pendel zurückkommt. Einerseits gibt es klare Spezialisierungsvorteile in der Softwareindustrie, und die Komponenten werden immer kleiner. Da ist das Ende auch noch nicht erreicht, die Funktionen werden noch granularer werden, und die Kunden profitieren davon, weil das Innovationstempo höher wird. Anderersseits gab es im Customer Experience (CX-)Markt ja bereits zwei große Konsolidierungswellen, und vielleicht gibt es bald noch eine dritte? Die erste wurde von IBM eingeläutet, die Commerce, Marketing Automation und PIM konsolidiert haben, aber eben noch On-prem. Dann kam die Cloud und mit ihr die zweite Konsolidierungswelle, getrieben von Salesforce, Adobe, SAP, die Cloud-Assets zusammengebracht haben, aber immer noch größtenteils monolithisch. Vielleicht kommt in ein paar Jahren tatsächlich die dritte Welle. Wenn die ersten cloudnativen CX-Softwareanbieter in den nächsten zwei, drei Jahren ihren IPO machen, dann gebe ich dem Markt noch mal vielleicht zwei, drei Jahre, dann wird diese Konsolidierung spätestens losgehen. Die Skalenvorteile auf der Vertriebsseite sind einfach zu groß. Vielleicht versteht es ja auch einer der etablierten Großen, dass das eine interessante Strategie wäre. Wenn ich zehn Milliarden über die nächsten Jahre zur Verfügung hätte, um mir solche composable Services zusammenzukaufen, wüsste ich schon genau, wen ich zusammenbringen würde.

Welche Rolle kommt dabei Softwareintegratoren und Digitalagenturen zu?

Die Agenturen haben mittlerweile zwei Standbeine. Das eine ist das klassische Legacy-Business, welches sie mit den etablierten Playern machen, wo sie viel Geld verdienen, weil die Systeme sehr teuer sind im Betrieb und in der Anpassung. Auf der anderen Seite wissen sie aber genauso gut, dass sie etwas Neues anbieten und sich differenzieren müssen. Da experimentieren viele und fangen an, Teams rund um moderne composable Anbieter aufzubauen. Auch im Integratorenmarkt gab es viele Konsolidierungen. Und als Gegenbewegung neue Innovation: Ich sehe in dem Bereich einige ehemalige Partner und Kollegen, die echte Unternehmerpersönlichkeiten sind und die komplett neue Systemintegratoren aufbauen – kleine Teams mit drei bis vier Leuten mit dem Ziel, auf 40 oder 500 anzuwachsen in den nächsten Jahren mit den neusten Technologien. Nicht jeder will mit einem der großen Häuser zusammenarbeiten, auch wenn die natürlich auch ihre Vorteile haben – etwa für globale Roll-outs.

Schätzungen zufolge gibt es rund 8.000 E-Commerce- oder MarTech-Anbieter auf dem Markt – Tendenz stark steigend. Wie findest du in dieser Masse spannende Investments, die herausstechen? 

Wir schauen uns im Jahr ungefähr 3.000 Unternehmen an und machen daraus acht bis neun Investments. Dazu muss man sich sehr viel anschauen, was enorm viel Arbeit ist. Am Tag schaue ich mir drei bis vier Unternehmen an. Ein Großteil kommt über unser Netzwerk von anderen Investoren überall in Europa. Das sind Beziehungen, die wir langfristig aufgebaut haben und pflegen. Inzwischen läuft immer mehr auch über eine direkte Kontaktaufnahme von Gründern, zum Beispiel über LinkedIn. Und wir haben eine eigene KI gebaut, die uns hilft, Firmen nach bestimmten Signalen zu klassifizieren und datengetrieben neue Investments zu finden – die schaut sich in der Woche mehrere tausend Unternehmen an und schlägt uns die interessantesten vor.

Was sind die Signale, die dir dabei wichtig sind?

Wir sind sehr fokussiert auf das Thema B2B-Software in Europa und schauen uns nur Unternehmen in der Seed-Phase an. Es gibt ein paar Dinge, auf die Investoren achten. Das ist in erster Linie das Team und insbesondere die Gründer. Dann schauen wir uns natürlich das Produkt an und das Marktpotenzial. Softwareunternehmen, die es schaffen, global zu skalieren, schaffen letztlich einen sehr hohen Wert. Daneben gibt es noch eine Reihe weiterer Dinge wie das Go-to-Market oder der Wettbewerb, die nicht fehlen dürfen. 

Warum B2B?

Wir haben selber sehr viel Erfahrung im B2B-Bereich gesammelt: Meine Partner haben ein E-Mail-Marketing-Software-Unternehmen aufgebaut, und ich habe Hybris mit aufgebaut. Dadurch haben wir den B2B-Softwaremarkt schätzen gelernt. Ein B2B-Softwareunternehmen, das funktioniert, hat grundsätzlich ein sehr attraktives Geschäftsmodell mit sehr hohen Brutto-Margen. Auch sind die Kunden meistens relativ gut zu finden, und die Kundenbindung ist hoch. Nicht zuletzt ist es vergleichsweise einfach, den existierenden Kunden mehr zu verkaufen, wenn sie zufrieden sind.

Sobald ein solches Unternehmen den Product-Market-Fit erreicht hat und es die Analysten auf dem Schirm haben, wird es sehr attraktiv, denn es ist möglich, das Geschäft rapide auf sehr hohe Umsatzzahlen zu skalieren. Im Consumer- oder Hardware-Bereich ist das nicht so einfach.

Vom Hybris-Mitgründer zum Investor – wie erlebst du deine Rolle im E-Commerce-Markt im Laufe der letzten Jahre?

Ich finde es extrem spannend, diesen Markt immer wieder zu begleiten – es ist ein enormes Privileg und am Ende des Tages ja auch eine Portion Glück, dass ich dort gelandet bin. Es war ja nichts davon geplant. Aber ich finde es großartig, dass ich diese ganze Entwicklung begleiten durfte und jetzt auch diese neue Welle hautnah miterlebe. Es ist faszinierend, in dem Business zu arbeiten, mit so vielen tollen Persönlichkeiten und Unternehmern, die etwas bewegen, und wo sich immer wieder etwas ändert und man sich eigentlich nie satt und zufrieden zurücklehnen und sagen kann: Das war’s jetzt! Es macht mir einfach extrem viel Spaß.

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Über Moritz Zimmermann:

Moritz Zimmermann war 1997 einer der Gründer des E-Commerce-Unternehmens Hybris, das im Jahr 2013 für 1,5 Milliarden US Dollar an SAP verkauft wurde. Als SVP Global Presales und später CTO der SAP Customer Experience-Division blieb er sieben Jahre lang bei SAP. Heute ist er General Partner bei 42CAP, einem Venture Capital-Unternehmen in München, das in technologiegetriebene Start-ups in der Seed-Phase investiert.

Über den Autor:

Temel Kahyaoglu,

CEO and Founder, The Group of Analysts

Temel ist Chefanalyst der TGOA und verantwortlich für die kontinuierliche Weiterentwicklung der Analysemethode Market Performance Wheels. Mit seinem Team hat er bereits über 500 Evaluation im DACH-Raum begleitet und berät Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen sowie Softwarehersteller und -integratoren bei strategischen Fragestellungen.

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Picture credit © Moritz Zimmermann.


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