DIE KARTEN WERDEN NEU GEMISCHT

DIE KARTEN WERDEN NEU GEMISCHT

Strategischer Machtpoker
um Online-TV

VON CLAUDIA PELZER

(Veröffentlicht in Das Produktkulturmagazin Ausgabe 22014)

Folgte der Markt für Entertainment-Inhalte lange Zeit einem immer gleichen Schema, steht die Branche aktuell vor einem massiven Wandel. Die großen Sender-Netzwerke bangen um Machtverlust – und das nicht unbegründet: Sie müssen immer wieder beobachten, wie Digitalkonzerne in ihr Territorium eindringen und wie selbstverständlich die herkömmlichen Prozesse aushebeln.

Das Monopol der TV-Sender wackelt. Wo ehemals Sendelizenzen den Markteintritt erschwerten, stellen heute Digitalunternehmen und Plattformen wie YouTube einen direkten Zugang zum Zuschauer her. Streaming- bzw. Video-on-Demand(VoD)-Dienste unterbieten sich mittlerweile mit monatlichen Flatrates gegenseitig im Preis. Damit greifen die Digital-Giganten nach einem Marktsegment, das eigentlich anderen vorbehalten war und beginnen – von der Inhalte-Produktion bis zur Distribution an den Endkunden – alle Wertschöpfungsschritte zu kontrollieren. Ein durchaus nachvollziehbarer Schritt, zumal der Markt für Online-TV rasant wächst. Aktuellen Zahlen von E-Marketer belegen, dass in den USA im vergangenen Jahr über 180 Millionen Menschen regelmäßig Online-Videos schauten. Das bedeutet einen Zuwachs von 8,5 Prozent im Vorjahres-Vergleich. Wird es also dem Fernsehen auf kurz oder lang genauso ergehen wie damals der Musikindustrie? 

Derzeit lassen sich im Marktsegment Online-Video zwei maßgebliche Trends beobachten. Trend eins: die Relevanz von YouTube Channels nimmt weiter zu, das Geschäft mit den Clips professionalisiert sich. Diese Inhalte zielen ab auf schnellen Konsum, sind meist recht günstig produziert, unterhaltsam, kurz(weilig) und richten sich – zumindest in Deutschland – an eine eher jüngere Zielgruppe. Damit erzielt mancher Channel eine Reichweite, von der viele TV-Sender nur träumen können. So kommt der weltweit führende YouTuber PewDiePie auf über 26 Millionen Subscriber und mittlerweile mehr als 4,2 Milliarden Videoviews. Multichannel Networks (MCNs) werden damit zu den neuen Gatekeepern im Online-Entertainment-Markt und sind dementsprechend so wertvoll (und natürlich eine Konkurrenz) für die klassische Entertainment-Branche, dass der Disney-Konzern kürzlich die Übernahme des Marktführers Maker Studios für 500 Millionen Dollar bestätigte. Auch wenn YouTube originär auf User Generated Content setzt, ist eine deutliche Tendenz zur professionelleren Inhalte-Erstellung erkennbar. Google zum Beispiel betreibt globale Ausbildungszentren und Studios, wie den knapp 4.000 qm großen YouTube Space im Süden von Los Angeles, den YouTuber kostenlos zur Produktion ihrer Inhalte nutzen können. 

Trend zwei ist eher gegenläufig zu den kurzen, bunten YouTube-Clips: teure, hochwertige Video-on-Demand-Produktionen wie die Netflix-Serie „House of Cards“. Derlei Premium-Serien feiern aktuell internationale Erfolge und zielen ganz klar auf eine Zuschauerschaft ab, die vormals bei den großen TV-Sendern zu finden war. Und damit steht Netflix nicht allein. AOL hat sich die israelische Realityshow „Connected“ gesichert, bei Microsoft stehen sechs Exklusivproduktionen an, unter anderem wird in den eigenen „Xbox Television Studios“ derzeit die Science-Fiction-Serie „Humans“ produziert. Yahoo bestellt vier Komödien mit jeweils zehn Folgen (wobei der Preis pro Episode irgendwo zwischen 700.000 und mehreren Millionen Dollar liegen soll). Und auch der Online-Versandhändler Amazon lässt mittlerweile eigene Serien wie „Alpha House“, „Beta“ oder „Bosch“ produzieren, die den Premium-Service „Amazon Prime“ attraktiver machen sollen. Auch Hulu, einer der Dienste, der bislang eher auf Zukäufe setzte, versucht nun mit Eigenproduktionen wie „Behind the Mask“ oder „The Awesomes“ zu punkten. 

Feste Sendezeiten sind aus Zuschauersicht längst ein Relikt aus alten Zeiten, Flexibilität und direkter Zugang zu den Inhalten sind gefragt. Und zwar am liebsten so günstig wie möglich oder gleich als Monatspauschale. Streaming-Dienste buhlen entsprechend mit Flatrate-Kampfpreisen von 8,99 Euro (Watchever) bzw. 7,99 Euro monatlich (Maxdome) um neue Kunden. Netflix liegt derzeit in den USA bei 7,99 Dollar – bleibt abzuwarten, mit welchem Preis sich der Dienst in Kürze auf dem deutschen Markt positionieren wird. Auch die entsprechende Hardware, die normale TV-Geräte auf Smart-TVs aufrüsten kann, wird immer günstiger. Streaming-Boxen als Add-On für das TV-Gerät, wie Amazons Fire TV, Apple TV oder Roku sind bereits für um die 100 Dollar erhältlich, Googles Cromecast-Stick sogar für 35 Dollar. 

Das Geschäft scheint sich dennoch zu lohnen für die Streaming-Dienste: Netflix konnte seinen Umsatz im vierten Quartal 2013 um 24 Prozent auf insgesamt 1,2 Milliarden US-Dollar steigern. In einem „The Wire“-Artikel wird das „House of Cards“-Business-Modell wie folgt durchkalkuliert: „With Netflix spending a reported $100 million to produce two 13-episode seasons of House of Cards, they need 520,834 people to sign up for a $7.99 subscription for two years to break even.“ Fakt ist: die Kosten für guten Content bzw. IP-Rechte sind in den letzten Jahren so massiv gestiegen, dass sich die Video-Plattformen auf lange Sicht von den Inhalte-Lieferanten emanzipieren möchten. So mischen plötzlich Digitalkonzerne in der Bewegtbild-Branche mit, die dort vor wenigen Jahren nicht zu vermuten waren. Oder wie die Süddeutsche es kürzlich sehr treffend ausdrückte: „Das Rennen um die besten Fernsehshows zieht Technologie-Unternehmen an wie Jesse Pinkman Ärger.“ 

Eine ähnliche Konkurrenz-Situation zeigt sich auch bei den Inhalten: Zwar ist die Nachfrage nach Erfolgs-Serien groß, aber wer es als Format in der „Pilot Season“ nicht schafft, das Publikum an sich zu binden, wird schnell wieder abgesetzt. Hier haben die digitalen Streaming-Dienste in ihren neuen Rollen als Auftraggeber allerdings einen ganz entscheidenden Vorteil gegenüber den Sendern. So war die Entscheidung, auf „House of Cards“ zu setzen, für Netflix eine ganz rationale. Durch den direkten Rückkanal und die Nutzeraccounts können die Plattformen viel genauer das Sehverhalten und die Vorlieben der Zuschauer auslesen. Um es auf den Punkt zu bringen: Hinter dem Erfolg von „House of Cards“ steht nicht etwas ein gutes Gespür für Serien, sondern ein Algorithmus. Netflix wusste genau, dass Formate des Regisseurs David Fincher und des Schauspielers Kevin Spacey überdurchschnittlich beliebt waren. Außerdem war bekannt, dass User gerne Filme und Serien-Inhalte mit politischem Hintergrund kauften. Auf Basis des Nutzerverhaltens der damals ca. 30 Millionen Abonnenten konnten die Netflix-Dataanalysten nicht nur das eigene Empfehlungssystem verbessern. Sie schauten sich beispielsweise auch an, wie gut das Serien-Original auf dem UK-Markt ankam, wie viele User welche Filme und Serien wann unterbrachen oder ein zweites Mal komplett abspielten. 

Das Resultat des „House of Cards“-Algorithmus war so überzeugend, dass Netflix nicht zögerte und 100 Millionen Dollar in die Produktion investierte (was die bis dahin generierten Einnahmen des Unternehmens überstieg). Ein Investment, das sich gelohnt hat: Netflix wurde mit einem Anstieg der Abonnenten (auf 40 Millionen) und des Aktienkurses (um 600 Prozent) belohnt. 

„House of Cards“-Hauptdarsteller Kevin Spacey zumindest ist fest davon überzeugt, dass der Bewegtbild-Branche erspart bleiben kann, was der Musikbranche längst den Hals gebrochen hat, wenn man nur den Nutzerbedürfnissen folgt.

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CLAUDIA PELZER

Claudia Pelzer ist Medien-Ökonomin, Bloggerin (crowdsourcingblog.de), Autorin und promoviert zum Thema „neue Arbeitsformen für Kreativarbeiter“. Sie berät Konzerne und Agenturen bei der strategischen Umsetzung von kollaborativen Arbeits- und Geschäftsmodellen sowie Open-Innovation-Ansätzen und baut derzeit das UFA lab (ufa-lab.com) in Köln auf.  

Liste der Top-YouTuber, Social Blade: 
http://socialblade.com/youtube/top

Disney Acquires Maker Studios, TechCrunch: 
http://techcrunch.com/2014/03/24/disney-maker-studios

Yahoo träumt von der Serienreife, Süddeutsche.de: 
http://bit.ly/1g39rd3

Picture credits © MRC II Distribution Company L.P.


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