DER ORIENT-EXPRESS

DER ORIENT-EXPRESS

VON ANJA FAHS
(Veröffentlicht in THE GAZETTE Ausgabe 01 im November 2022)

Wiedergeburt einer Legende: Der Orient-Express kehrt zurück

Georges Nagelmackers hatte einen Traum: Er wollte den luxuriösesten Zug der Welt auf die Schienen bringen. 1883 war es so weit – der belgische Bauunternehmer und Gründer der „Compagnie Internationale des Grands Hôtels“ stellte den Orient-Express vor – und der Rest ist Geschichte. Eine Legende war geboren. Das „Luxus-Hotel auf Schienen“ durchquerte die großen europäischen Hauptstädte und verband den Okzident mit den Toren des Orients. Er wurde zum Inbegriff des glamourösen Reisens, war Synonym für Reichtum und ermöglichte einer elitären Gesellschaft den Aufbruch ins Abenteuer und das Entdecken neuer Länder auf komfortabelste Art und Weise. Es war eine Ära voller Magie, die 1977 zu Ende ging.

In den frühen 1980er-Jahren beschlossen zwei Privatunternehmer, die Legende wieder aufleben zu lassen. James Sherwood, der amerikanische Besitzer des Hotels Cipriani in Venedig, nahm den Venedig-Simplon-Orient-Express in Betrieb. Der Schweizer Reiseveranstalter und Geschäftsmann Albert Glatt weihte dagegen den Nostalgie-Istanbul-Orient-Express ein. Dieser „Traumzug“, der aus den historischen Wagen des Orient-Express bestand, verkehrte zwischen Zürich und Istanbul und war ein durchschlagender Erfolg. Im Jahr 1992 reiste der King of Pop, Michael Jackson, während seiner Europatournee für einige Wochen mit dem Zug. Unter dem Namen „Extrême-Orient-Express“ unternahm der Zug seine längste Reise und verband Paris mit Tokio. Trotz dieser großen Leistung stellte der Nostalgie-Istanbul-Orient-Express einige Jahre später seinen Betrieb ein und verschwand von den Schienen, dem aktiven Streckennetz und aus unserem Blick.

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Auf der Suche nach dem letzten Orient-Express

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Die französische Eisenbahngesellschaft SNCF, Eigentümerin des Orient-Express, beauftragte 2015 einen auf Industriegeschichte spezialisierten Forscher, Arthur Mettetal, damit, eine weltweite Bestandsaufnahme des Orient-Express zu machen.

Bei seinen Nachforschungen entdeckte dieser zufällig ein Video eines Zuges in voller Fahrt, das von einer anonymen Person auf YouTube gestellt worden war. „Wir wussten also, dass der Zug irgendwo existiert, aber nicht genau, wo. Als wir das Video entschlüsselten, sahen wir ein Schild für den Bahnhof ‚Malaszewicze‘“, erzählt Arthur Mettetal. Allerdings ist dies eine in Polen weit verbreitete Bezeichnung für ein Dorf. Jetzt war die Neugier geweckt, und mit detektivischem Spürsinn, ein wenig Hartnäckigkeit und mithilfe von Google Maps und Google 3D kamen die Forscher schließlich auf die richtige Spur. Neue Luftaufnahmen brachten Gewissheit: Die auf den Fotos zu sehenden Wagendächer waren tatsächlich die des Nostalgie-Istanbul-Orient-Express, der an der Grenze zwischen Weißrussland und Polen stand.

Arthur Mettetal fuhr sofort nach Warschau. Begleitet wurde er vom Vizepräsidenten des Orient-Express, Guillaume de Saint Lager. Außerdem hatten sie einen Übersetzer und einen Fotografen mit auf ihrer Suche nach dem Zug. Von der polnischen Hauptstadt aus erreichten sie nach vierstündiger Fahrt einen abgelegenen Rangierbahnhof inmitten der Steppe, direkt an der weißrussischen Grenze. Im Morgengrauen des nächsten Tages besichtigten sie die Waggons, die sich dort seit zehn Jahren unter freiem Himmel im Dornröschenschlaf befanden. Die Innenräume waren erstaunlich gut erhalten und enthielten noch die wunderbaren Einlegearbeiten sowie die für den Art-déco-Stil typischen Lalique-Paneele. Alles war intakt und mit Motiven wie „Amseln und Trauben“ graviert. Ein wahres Wunder und die Entdeckung eines verlorenen Schatzes.

Nach zweijährigen Verhandlungen trat der Besitzer die Waggons des Nostalgie-Istanbul-Orient-Express an das Unternehmen Orient-Express ab. Der Vertrag wurde im Juli 2018 im Hotel Bristol in Wien unterzeichnet. Ein schwer bewachter und von mehreren Polizeifahrzeugen eskortierter Lastwagen-Konvoi brachte die 17 Waggons zurück nach Frankreich. Hier sollen die zwölf Schlafwagen, ein Restaurant, drei Lounges und ein Van detailgetreu restauriert werden. Mit dieser historischen Aufgabe wurde der Architekt Maxime d’Angeac betraut. Er wird den Orient-Express mit seinem Savoir-faire und in Zusammenarbeit mit den besten französischen Kunsthandwerkern wieder zum Leben erwecken. „Die wechselvolle Geschichte dieser Zug-Ikone zu sublimieren und gleichzeitig auch zu erweitern, indem das Dekor des Nostalgie-Istanbul-Orient-Express neu interpretiert wird, ist wahrhaft eine Mammutaufgabe“, beschreibt d’Angeac. Aber pünktlich zu den Olympischen Spielen in Paris im Jahr 2024 werden die ersten Wagen den neuen Charme des Orient-Express enthüllen.

„Den Orient-Express von morgen auf der Grundlage historischer Wagen aus dem Goldenen Zeitalter der Eisenbahn neu zu erfinden, war ein wahres Abenteuer“, sagt Guillaume de Saint Lager, Vizepräsident Orient-Express. „Wir haben einen Schatz wiederentdeckt, der zehn Jahre lang verschwunden war und nun gerettet werden konnte. In wenigen Monaten werden das Talent und die Leidenschaft Maxime d’Angeacs und seines Teams einen Zug zum Vorschein bringen, der seinesgleichen sucht und dessen Erscheinungsbild der ‚Kunst des Reisens‘ mit dem Orient-Express treu bleibt. Die Legende ist wieder da und mit ihr eine Neudefinition des luxuriösen Bahnreisens.“

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La Dolce Vita Orient-Express

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So lange müssen jedoch Zugliebhaber nicht mehr warten, denn das italienische Unternehmen Arsenale S.p.A. unterzeichnete ein Projekt für Luxus-Eisenbahntourismus zusammen mit der Marke Orient-Express, die seit 2017 ein Teil der Accor-Gruppe ist. Gemeinsam werden sie den „Orient-Express La Dolce Vita“ schon im kommenden Jahr auf die Schienen bringen. Sechs Züge werden auf verschiedenen außergewöhnlichen Routen durch 14 Regionen Italiens führen. Der La Dolce Vita wird drei internationale Ziele bedienen und Rom mit Paris, Istanbul und Split verbinden. Bei einem ganz besonderen Zwischenstopp in Rom soll 2024 auch das allererste Orient-Express-Hotel „Minerva“ eröffnet werden. Sébastien Bazin, Chairman und CEO von Accor, sagt: „Wir bei Accor betrachten es als ein großes Privileg, die historische Marke Orient-Express für leidenschaftliche und anspruchsvolle Reisende wiederzubeleben. Unsere Zusammenarbeit mit der Arsenale-Gruppe hat neue Horizonte eröffnet, die in perfekter Harmonie mit dem Erbe und der Philosophie von Orient-Express stehen und unseren ständigen Willen zur Weiterentwicklung unterstreichen.“

Das Konzept für die neuen La Dolce Vita-Züge ist eine Hommage an „La Dolce Vita“, eine Periode des Glamours, der Lebensfreude und des künstlerischen Eifers im Italien der 1960er-Jahre.  Dafür stehen in Italien mehr als 16.000 Kilometer funktionstüchtige Eisenbahnstrecken zur Verfügung. 7.000 Kilometer sind nicht elektrifiziert und für Nostalgie-Eisenbahnfans darum ein ganz besonderer Abschnitt. Hier bietet der Zug eine wunderbare Möglichkeit, das Land abseits der gängigen Pfade – oder eher „Schienen“ – zu erkunden, fast vergessene Routen zu entdecken und über verborgene Kunstschätze zu staunen. „Es ist aufregend, den Geist des Orient-Express für eine neue Generation von Reisenden lebendig zu machen. Die ursprüngliche Zugstrecke war insofern innovativ, als dass sie auf paradoxe Weise Kulturen zusammenbrachte – den Okzident mit dem Orient, Geschichte mit Moderne. Wir möchten Reise und Ziel, Erstaunen und Inspiration, Bewegung und Kontemplation in Einklang bringen. Vor dem Hintergrund atemberaubender Panoramen und einer einzigartigen Mischung von Kulturen sind wir überzeugt, dass Reisende mit Orient-Express La Dolce Vita unvergessliche Erlebnisse in Italien haben werden“, verspricht Stephen Alden, CEO Raffles und Orient-Express, Accor.

Entworfen wurde das Interieur der Waggons von Dimorestudio, einem internationalen Architektur- und Designstudio, das von Emiliano Salci und Britt Moran gegründet wurde. Das Design will die Kreativität der 1960er- und 1970er-Jahre widerspiegeln und die italienische Lebenskunst mit all ihren Traditionen zelebrieren. Zwölf Deluxe-Kabinen, 18 Suiten, eine Mastersuite und ein Restaurant sollen mit ihrem opulenten 70er-Retro-Charme-Dekor die Gäste in das Dolce Vita Italiens dieser Zeit versetzen und zum wunderbaren „dolce far niente“ auf der Reise einladen.

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www.orient-express.com

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Picture credit © Renderings by Dimorestudio


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