Von Thomas Lucas-Nülle
VON THOMAS LUCAS-NÜLLE
(Veröffentlicht in Das Produktkulturmagazin Ausgabe 3 2014)
Die richtige Information – zum richtigen Zeitpunkt – bei der richtigen Person. Das war die goldene Regel in der Produktkommunikation seit Jahren. Jetzt kommt eine weitere, die 4. Dimension hinzu: Auf den richtigen Devices. Die dadurch entstehende Steigerung der Komplexität für das Produktmarketing ist enorm. Die althergebrachten Vorgehensweisen und gelernten Arten, wie Marketing gemacht wird, gelten durch das Internet ja schon seit Jahren nur noch bedingt. Die mobile Revolution bringt jedoch für Unternehmen eine ganz neue Dynamik mit sich. Der Anteil an mobilen Internetusern hat 2014 das erste Mal die Anzahl der stationären Nutzer überholt und ein Ende des mobilen Booms ist nicht in Sicht. Eher wird sich diese Entwicklung durch die immer besseren verfügbaren Bandbreiten noch beschleunigen.
Der dadurch entstehende Omni-Zugang zum Internet stellt ganz neue Anforderungen an die Unternehmen, die Informationen bereitstellen. Zwar wird überall schon von Big Data und Integrated Marketing Management (IMM) gesprochen, doch entspricht dies bei der Umsetzung in den allermeisten Unternehmen in keiner Weise der Realität. Vielmehr beschäftigen sich die meisten Unternehmen immer noch eher mit der Lösung des Grundproblems „Konsistente Produktkommunikation“. So werden immer noch im überwiegenden Teil der Unternehmen Informationen kanalspezifisch und eventgetrieben beschafft und verarbeitet. Dieser prozessuale und auch systemische Ansatz kann aber bei der Vielzahl der Kanäle und der hohen Änderungsgeschwindigkeit nicht dauerhaft weiter funktionieren. So stellen Unternehmen zunehmend fest, dass ein prozessgetriebener Ansatz der Datenpflege neu etabliert werden muss. Dies gelingt nur auf Basis von zugehörigen zentralen Systemen. Im Bereich der Produktkommunikation kommt PIM und Media Asset Management besondere Bedeutung zu. Aber auch CMS- und Tech-Doc-Systeme stellen zentrale Back-End-Bausteine dar, die eine prozessgetriebene Produktdatenpflege erst möglich machen.
Dieses Backend ist eine der entscheidenden Voraussetzungen, um in der Phase 2, die häufig aber in den Unternehmen viel priorisierter diskutiert wird, mit dem richtigen Setup zu starten. Ansonsten ist Big Data und IMM nur eine leere Worthülse.
Ein weiterer Datenbereich wird aktuell ebenfalls von der Big-Data-Euphorie überzogen. Das schon seit über 10 Jahren in Unternehmen genutzte Customer Relationship Management (CRM) ist in Realität in den meisten Unternehmen nicht über eine bessere Adressen- und Kontaktpflege-Datenbank hinausgewachsen. Dabei läge gerade hier einer der größten Datenschätze der Unternehmen, wenn sie diese Projekte richtig angegangen hätten (Glückwunsch an diejenigen, die es getan haben). Google macht es vor, wie man mit Wissen über seine Nutzer (Kunden) Geld verdienen kann. Für herstellende oder handelnde Unternehmen mit „echten“ Kunden wäre das Nutzenpotential um ein vielfaches höher, wenn sie aus den letzten 5 Jahren alle Verkäufe und Angebote auf Produktbasis granular adhoc auswerten könnten und auf dieser Basis kunden-individuelle Erweiterungs- bzw. Ersatzangebote erstellen könnten.
Diese beiden Beispiele zeigen deutlich: Mit der Einführung eines oder mehrerer Systeme ist der Herausforderung des Omni-Channel und der Omni-Devices nicht zu begegnen. Vielmehr muss nun endlich die Industrialisierung im Bereich der Produktkommunikation – und dies heißt im Marketing – Einzug halten. Die Zeiten der kreativen Köpfe sind zwar nicht vorbei, jedoch sind sie nicht die Richtigen, der prozessualen Komplexität, die diese neue Welt mit sich bringt, mit Umstrukturierungen und prozessualen Neuordnungen zu begegnen. Vielmehr werden Information Manager benötigt, die in der Lage sind, die Neustrukturierungen zu durchdenken, anzugehen und auch gegen alle Veränderungswiderstände durchzusetzen. Denn machen wir uns nichts vor. Das Marketing ist die letzte „freie“ Bastion, die in Unternehmen noch nicht einem transparenten Cost-Controlling und einem kontinuierlichen Optimierungsprozess unterzogen worden ist. Es ist immer noch häufig die Black Box mit einem riesigen Werbebudget und geringer Nachvollziehbarkeit. Dies kann und wird aber für die Zukunft nicht mehr möglich bleiben. Zu groß wird der Budgethunger durch die vielen Channels, die bespielt werden wollen. Ebenfalls steigt das Risiko, falsche Informationen zu kommunizieren, da der kanalspezifische Prozess des Jagens und Sammelns in der neuen Welt von Omni-Channel nicht mehr durchzuhalten ist.
So ist die Zeit einer neuen Generation von Marketiers angebrochen. Sie werden noch nicht von Hochschulen ausgespuckt, weil die Bildung mal wieder hinterher hinkt. Aber die nachwachsenden Online Marketiers und E-Commerce-Spezialisten sind digitales Denken und Handeln nicht nur gewöhnt, sondern auch in der Lage, entsprechende Prozesse zu schaffen. Sie müssen nur auch die Möglichkeit dazu bekommen und dürfen nicht in separate Online- oder E-Commerce-Abteilungen abgeschoben werden, um dem „klassischen“ Marketier sein Fürstentum nicht zu gefährden.
Die Aufgabe, im Marketing neue Zeiten, Strukturen und Personen durchzusetzen und die eingetretenen alten Pfade zu verlassen, liegt in den Händen der CEOs. So ähnlich war es vor 20 Jahren, als Handwerksbetriebe zu Industrieunternehmen mit industrialisierten Prozessen wurden. Die alten Bauten und Denkweisen mussten überwunden werden, genau diese Entwicklung steht im Marketing noch bevor.
Mit der Einführung von IT-Systemen ist es somit nicht getan. Die Aufgabe ist vielmehr die Neuausrichtung eines traditionellen Unternehmensbereiches auf die neuen Herausforderungen. Erst dann sind Unternehmen in der Lage, nachhaltig in die 4. Dimension einzusteigen.
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THOMAS LUCAS-NÜLLE
Thomas Lucas-Nülle gilt als einer der Experten im deutschsprachigen Raum für das Thema Information Supply Chain Management. Die von ihm veröffentlichten Studien und Publikationen zum Thema PIM gelten als Referenzwerke und werden heute sogar in der universitären Ausbildung eingesetzt. Aktuell widmet er sich der Herausforderung in Unternehmen, die Informationskomplexität für die werbliche Kommunikation in den Griff zu bekommen. MRM ist aus seiner Perspektive ein vielversprechender Ansatz, die Herausforderungen der Omnichannel-Welt zu lösen.
Picture credits © kimberrywood/istockphoto
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